原文:「Zur Geschichte der frühen Virusforschung」(PDF)
WIE SICH MIT TECHNISCHEN FORTSCHRITTEN BEI DER UNTERSUCHUNG „FILTRIERBARER“ INFEKTIÖSER AGENZIEN DAS VERSTÄNDNIS DER VIRUSNATUR ENTWICKELT HATTE
Gemeinhin wird wissenschaftlichen Experimenten ein zwingender Charakter zugeschrieben, dem der Gewinn an folgerichtiger Naturerkenntnis zu verdanken sei. Methoden für eine angemessene Kontrolle und Durchführung von Verfahren und deren Wiederholung werden als Mittel verstanden, um Meinungsunterschiede darüber zu beseitigen, was als „richtige“ Erweiterung wissenschaftlichen Wissens gelten darf (siehe Collins 1985b: 137). Bei der Bewertung eines Instrumentes gilt dessen Zuverlässigkeit als Schlüsselkriterium, mit der eine Informationstransformation ermöglicht werden kann, die Transformation von Eingangsinformationen über die Außenwelt in Outputs, die von unserem sensorischen Apparat aufgenommen werden können [1], eine Sichtweise, die in der Ausbildung und überall da kultiviert wird, wo spektakuläre Experimente für Demonstrationszwecke benutzt werden. Um „normale“ Wissenschaft zu betreiben, hat sich dieses Verständnis, das eine Reflexion der Realitätsannahmen ausspart, bewährt. Die Entwicklung wissenschaftlichen Wissens bietet sich unter diesem Blickwinkel als Prozeß einer fortschreitenden Ausscheidung subjektiver Wahrnehmungen zugunsten meßbarer Größen und theoretisch begründeter Invarianten dar, als Prozeß, in dem subjektive Konstruktionen fortwährend durch objektives Wissen ersetzt werden. Im Widerspruch dazu arbeitet die neuere Wissenschaftssoziologie, wenn sie sich zum Zusammenhang zwischen empirischer Laborpraxis und theoretischem Wissen äußert, auf ein Verständnis hin, wonach Forschungsgegenstände, wie sie „gegeben“ sind, nicht davon zu unterscheiden sind, auf welchem Wege sie erkannt werden. Wissenschaftliche Bedeutungen sind nicht etwas, das in den Fakten schon enthalten und den Forschern unverrückbar vorgegeben wäre, so als ob Experiment und Beobachtung nicht nur zu praktischen Fähigkeiten zur Reproduktion untersuchter Phänomene verhelfen, sondern zugleich den Sinnen der Forscher sonst verborgene „Informationen“ enthüllen würden, die sich zu einem adäquaten (mit den Phänomenen „übereinstimmenden“) theoriesprachlichen Ausdruck hinführen ließen (siehe Latour 1987: 27 und 30; Latour/Bastide 1986; Collins/Pinch 1982: 7 ff.; Collins 1985a, 1985b; Krohn/Küppers 1989: 28; Woolgar 1988: 28 f.).
Die Entwicklung wissenschaftlichen Wissens verdankt sich nicht der Anpassung von Interpretationssmustern an vorgefundene Erscheinungen. Vielmehr wird das, was untersucht und gedeutet wird, von
den Forschern selber mustergemäß gestaltet. Forschungstätigkeit wird von gegebenen Theorien und Methoden einer Disziplin instruiert, so daß die Resultate in einem bestimmten Maße wieder auf die
Voraussetzungen der Forschung zurückführen. Sofern sich Diskrepanzen auftun zwischen dem, was im Experiment beobachtet wurde, und dem, was nach Maßgabe der Theorie hätte eintreten müssen, werden
Anstrengungen unternommen, die experimentellen Vorgehensweisen und Bedingungen so zu verändern, daß sich die untersuchten Gegenstände wiederum erwartungsgemäß verhalten.
Dieser Zusammenhang läßt sich in der Abstraktion als Kreislauf fixieren; Collins spricht in dieser Hinsicht von einem „experimentellen Zirkel“[2]. Das gilt auch für
die sogenannten Schlüsselexperimente. Gilbert und Mulkay schildern, wie verschieden die Geschichten ausfallen, die Forscher über ein solches Experiment erzählen, wenn der Adressatenkreis
wechselt, wobei sich erweist, daß es verschiedene Wege gibt, wie Schlüsselexperimente zur Konstruktion von Geschichten benutzt werden: Sie können so dargestellt werden, als ob sie zwingend zu
einer theoretischen Fassung hingeführt hätten, sie können aber auch als Beleg für die Gültigkeit einer schon vorgefaßten Theorie geschildert werden (Mulkay/Gilbert 1984: 117 ff.)[3].
Konzepte, die in der Fachöffentlichkeit einer wissenschaftlichen Disziplin debattiert werden, sind nur unter Verweis auf angewandte technische Verfahrensweisen vertretbar. Weil Realität also immer nur über Informationsverarbeitungsprozesse konkret erfahren wird, geleitet von den im Subjekt angelegten Erfahrungen und Verarbeitungsregeln, ist der Anteil dessen, was realitätsgetreu ist, niemals genau bestimmbar (siehe Graber 1984), so daß die in der Hoffnung auf eine bessere Annäherung an die „Realität“ betriebenene Vervollkommnung bzw. Weiterentwicklung der experimentellen Techniken nicht als etwas verstanden werden kann, das die „blinden Flecken“ immer mehr verkleinern würde. Damit läßt sich nicht ein für allemal festlegen, welche denn die eine richtige Theorie ist, in der ein Phänomen, ein Gegenstand zu beschreiben ist. Die Empirie steuert nicht das Diskursverhalten der Forscher in einer Weise, die Rivalitäten im Hinblick darauf ausschließt, wie die Natur eines Gegenstandes zu begreifen ist. Und so kann auch die Interpretation von Befunden niemals zu einem endgültigen Abschluß gebracht werden. Für jede gegebene Menge experimenteller Ergebnisse und empirischer Daten gibt es nicht nur eine Theorie, die sie erklären kann, wobei die Frage entsteht, ob – wenn Beobachtungen theoriegeleitet sind – theoretische Differenzen auf einem gegebenen Gebiet überhaupt als unterschiedliche Interpretationen der gleichen Beobachtungsdaten verstanden werden dürfen (siehe Hanson 1969: 18).
Aus dem Dargelegten ergeben sich nun einige Fragen: Was treibt denn die Entwicklung theoretischen Wissens voran, wenn experimentelle und andere empirische Daten nicht ausreichen, um die Theorie, in der sie erklärt werden können, zu bestimmen? Und worin ist genau der „Anteil“ zu sehen, den Vervollkommnung und Verbesserung von Forschungstechniken und –methoden daran haben? Die Eigenständigkeit der Struktur theoretischen Wissens gegenüber Erfahrungswissen bedeutet ja nicht, daß für Theorieentwicklungen Fortschritte ohne Belang wären, die in der Entwicklung solchen Wissens erreicht werden, das praktisch-gegenständliche Tätigkeiten instruiert. Wie der Übergang von der Ebene empirischen Wissens zur Ebene logisch-theoretischen Wissens vonstatten geht, wenn sich die empirische Forschungspraxis nicht als vom Wünschen und Wollen des Forschers getrennt wirksamer Testmaßstab für die Gültigkeit von Behauptungen verstehen läßt, wenn der Gedanke, daß die Wiederholbarkeit von Ergebnissen im Experiment eine feste Beziehung zwischen Theorie und Beobachtung schaffen würde, verworfen werden muß [4], ist eine Frage, die immer noch kontroverse Debatten auslöst. Ihr wird im folgenden an einem wissenschaftshistorischen Beispiel nachgegangen. Wir beziehen uns auf Abschnitte der früheren Geschichte der Erforschung von Virusinfektionen.
Das Virus wird als eine aus Nukleinsäure und Protein bestehende biologische Einheit, als Komplex von Makromolekülen bestimmt, deren genetisches Material entweder aus DNA oder RNA besteht und zu
deren Replikation geeignete Wirtszellen anwesend sein müssen. Diese (hier unvollständig wiedergegebene) Definition unterscheidet sich merklich von jener, wie sie noch im frühen 20.Jahrhundert
galt: Das Virus wurde als filtrierbarer, submikroskopischer und auf unbelebten Nährböden nicht kultivierbarer Erreger von Infektionskrankheiten bestimmt [5]. In der ätiologischen
Krankheitsforschung kamen noch zwei weitere Merkmale hinzu, die Vermehrungsfähigkeit im befallenen Organismus und die unbegrenzte Übertragbarkeit von einem empfänglichen Organismus auf einen
anderen. Diese Definition läuft auf die verbale Manifestation einer spezifischen Forschungspraxis hinaus, indem sie den Erreger über dessen Reaktionen auf seinerzeit übliche bakteriologische
Experimentierbedingungen erklärt. Unser Interesse gilt vornehmlich dem Übergang vom frühen zum modernen Viruskonzept und der Rolle, die dabei die Entwicklung verfahrentechnischer Bedingungen
gespielt hat.
Zur Natur des Virus wurden von Anfang an ganz verschiedene Standpunkte vertreten. Gedacht wurde es entweder als lösliche Substanz, als ein Enzym, als ein Ferment, als Eiweiße von hohem
Molekulargewicht, die eine Reihe chemischer Prozesse überdauern können, ohne ihre Infektiösität zu verlieren (das heißt, die organische Stoffe ohne eigenes Leben darstellen), oder das Virus galt
als besonders winzige Mikrobe. Auf eine lösliche Substanz oder ein Enzym schlossen vor allem Pflanzenpathologen. Die Geschichte ihres Faches brachte es mit sich, in erster Linie an chemische
Verbindungen zu denken. Tier- und Humanpathologen, die enger an Bakteriologie und Zellehre gebunden waren, favorisierten das Mikrobenkonzept.
1879 stieß Adolf Mayer auf einer landwirtschaftlichen Versuchsstation in Holland auf den infektiösen Charakter der Tabakmosaikkrankheit. Es gelang ihm aber nicht, einen diese Krankheit
verursachenden Erreger zu isolieren. Er erwog zunächst, daß die Krankheit vielleicht durch Ernährungsmängel entstanden sein könnte. Nach einer vergleichenden chemischen Analyse der gesunden und
kranken Tabakblätter stellte er jedoch fest, daß es den kranken Pflanzen weder an Stickstoff, Kali, Kalk oder anderen Stoffen fehlte. Auch die Böden konnten die Krankheit nicht bedingt haben, sie
waren gleichmäßig gedüngt und für den Tabakanbau geeignet. Über Modifikationen in der Anlage der Mistbeete (zum Beispiel Variation der Wärme) ließen sich ebensowenig Aufschlüsse
gewinnen. Auch gezielte Verletzungen der Wurzeln von jungen Pflanzen erwiesen sich als harmlos (Mayer 1886: 455 f.). Mayer machte dann die Entdeckung,
„dass der durch Reibung erhaltene Saft von kranken Pflanzen ein sicherer Infektionsstoff für gesunde Pflanzen sei.“ Wenn man ein krankes Blatt mit Beifügung einiger Tropfen Wasser feinreibe und
die so entstandene Emulsion durch fein ausgezogene kapillare Glasröhrchen aufsaugen lasse und diese in die Blattnerven eines älteren Blattes einsteche, so könne man die Krankheit auf gesunde
Pflanzen übertragen (ebenda, 461 f.). Mayer suchte nun nach „geformten Inhaltskörpern“. Aber der infektiöse Stoff erwies als etwas, das sich nicht mikroskopieren ließ. Auch die Methoden Robert
Kochs zur Kultivierung auf unbelebtem Nährsubstrat - die Züchtung von Reinkulturen war nach Koch der eigentliche „Schwerpunkt aller Untersuchungen über Infektionskrankheiten“ (Koch 1912: 131)
- versagten [6]. Daß es sich um ein Ferment handeln könnte, schloß Mayer aus, weil sich dann die Vermehrung des Agens nicht erklären ließe. Diese Entscheidung erhärtete er durch einen
Filtrationsversuch: Bei Verwendung doppelter Filter (bestehend aus Filtrierpapier) erhielt er ein klares Filtrat, und er nahm an, daß eine nichtzelluläre Substanz die Papierschichten passiert
habe. Das Filtrat besaß Mayers Bericht zufolge aber keinerlei Ansteckungsvermögen (a.a.O., 465). „Hiermit schon wäre die Möglichkeit der ansteckenden Wirkung durch einen enzymartigen Körper
ausgeschlossen; denn es widerspricht geradezu allen bekannten Eigenschaften dieser merkwürdigen Stoffe, in einer Flüssigkeit gelöst durch einfache Filtration aus derselben entfernt zu werden.“
Seine Beobachtung, daß die Infektiösität des Saftes durch Erhitzen auf 80° Celsius nach mehreren Stunden zerstört wurde, deutete er so, daß der Erreger organisiert, daß er zellulär sein müsse.
Mayer dachte schließlich an eine bakteriell bedingte Krankheit, wenngleich die „nähere Kenntniss von Form und Lebensweise der schuldigen Bacterie ... freilich auf diese Weise nicht erlangt
werden“ könne und der künftigen Forschung vorbehalten bleiben müsse (ebenda, 466).
Im Widerspruch zu Mayer, dem sich lediglich die ansteckende Natur der Tabakkrankheit, nicht aber der Erreger selbst erschlossen hatte, konnte der russische Pflanzenphysiologe Ivanovskij (1892)
belegen, daß es eben doch die aus mosaikkranken Tabakblättern gefilterte Flüssigkeit ist, von der die Infektionswirkung ausgeht. Ivanovskij präsentierte die Ergebnisse seiner Beobachtungen in
einem Aufsatz unter dem Titel „O dvuch boleznjach tabaka“, wo er, ausgehend von eigenen Studien auf der Krim und in Bessarabien sowie die von Mayer in Holland gemachten Beobachtungen kritisch
auswertend, die Mosaikkrankheit der Tabakpflanze beschrieb, ihren infektiösen Charakter feststellte und dabei den überraschenden Tatbestand bekanntgab, daß der Zellsaft mit dem Erreger
bakteriendichte Filter passiert, ohne an Virulenz einzubüßen (Ivanovskij 1892). Auf eine solche Erscheinung war man vorher bei der Untersuchung der bis dahin bekannten übertragbaren Agenzien
nicht gestoßen, und mit ihr wurden sogleich folgenreiche Erklärungsprobleme für die Bakteriologie aufgeworfen. Mit der Filtrationstechnik, die auf diesem Gebiet angewandt wurde, sollte ja
infektiöses Material aus Flüssigkeiten herausgesiebt werden, so daß auch nur sterile Filtrate zu erwarten waren, „Abfallprodukte”, die beim Hantieren mit infektiösem Material anfielen und deshalb
keine Bedeutung zu haben schienen.
Daß bei der Untersuchung kranker Tabakblätter ein Filtrat anfiel, das dieser Erwartung zuwiderlief, bemerkte wenig später auch, ohne Ivanovskijs Entdeckung zu kennen, der Niederländer Beijerinck
(1899). Auch ihm gelang es, die Krankheit mit Filtraten von kranken Pflanzen zu verbreiten. Beijerinck zog in seinen Versuchen Saft mosaikkranker Tabakblätter durch Porzellanfilter, nachdem
mikroskopische Untersuchungen des Preßsaftes und Kultivierungen immer nur negative Ergebnisse gezeitigt hatten und sich biologische Manifestationen des Erregers nicht ausmachen ließen. Nach
erfolglosem Suchen anaerober Bakterien [7] , die den Filter passiert haben könnten (von denen man wußte, daß sie äußerst kleine, filtrierbare Sporen aufweisen)[8], sowie dem Umstand folgend, daß
sich mit dem Mikroskop keine korpuskulären Erreger erkennen ließen, sprach Beijerinck dem Agens eine zelluläre Natur ab und charakterisierte ihn als einen lebendigen flüssigen Ansteckungsstoff
(als „contagium vivum fluidum“), als Stoff, der, um sich zu replizieren, seinen Einfluß in Lösungen ausübe. Die Wasserlöslichkeit hielt er für ein Charakteristikum aller filtrierbaren Kontagien.
Als molekulare, replikationsfähige Agenzien sollten sie nur bei Inkorporation in das lebende Protoplasma der Zelle wirksam sein.
Die Annahme, daß es sich bei dem Erreger um einen lebenden Ansteckungsstoff in Form einer Flüssigkeit handelte, stieß seinerzeit auf breiten Widerstand, weil man sich eine gelöste lebende
Substanz kaum vorzustellen vermochte, eine Substanz, die sich, obwohl nichtzellulär, reproduzieren könnte. Eine Reihe von Forschern war eher geneigt, von einem Contagium inanimatum auszugehen.
Centanni, der ein infektiöses Filtrat als Ursache der Hühnerpest ermittelt hatte, erwog die Möglichkeit, daß es sich bei dem Erreger um ein chemisches Agens von der Art eines Autokatalysators
handeln könnte, das die Wirtszellen zu reizen und durch eine pathogene Abweichung ihres Stoffwechsels zur Produktion eines mit ihm identischen Stoffes zu stimulieren vermag. Er schloß aber nicht
aus, bei seinen Untersuchungen auf einen sich reproduzierenden lebenden Organismus gestoßen zu sein (1902: 198).
Etwa zur gleichen Zeit wie Beijerinck hatte sich auch der amerikanische Pflanzenpathologe und Physiologe Woods (1899) mit dieser Erscheinung befaßt, der zur Erklärung des Phänomens die
Enzymforschung heranzog und zu der Überzeugung gelangt war, daß die Mosaikkrankheit des Tabaks gar nicht infektiöser Natur sei, sondern die Folge der Überproduktion gewisser pflanzeneigener
oxidierender Enzyme, die sich auch in erhöhter Menge in den kranken Tabakblättern nachweisen ließen. Für ihn ging es also darum, die
Ursache der Mosaikkrankheit des Tabaks in der Pflanze selbst zu suchen und nicht in einem exogenen Agens. Woods war besonders an der Rolle von Enzymen in der Zellphysiologie
interessiert. In den späten 90er Jahren befaßte er sich mit dem Zusammenhang zwischen gewissen Enzymen und Pflanzenkrankheiten, die mit einer Chlorophyllzerstörung einhergingen. Zum Gegenstand
seiner Untersuchungen gehörte die Verfärbung von Chlorophyll, der grüne Farbstoff in Pflanzenzellen. Woods vertrat die Auffassung, daß die Verfärbung der Blätter im Herbst als eine Wirkung
oxidierender Enzyme dargetan werden könne. Bei gewissen Störungen wie der Tabakerkrankung, wo der Chlorophyllabbau deutlich erkennbar sei - die Flecken auf den Blättern ließen sich als Symptome
jener Zerstörung verstehen - , könnten die Enzyme Oxidase [9] und Peroxidase [10] die Krankheitsursache sein. Wenngleich sich die fraglichen Enzyme nicht filtrieren ließen, wechselten sie auf den
zur Kultivierung verwendeten Nährboden (Agar) über.
Eine mikrobielle Natur des Virus wurde auch von Hunger (1905) in Abrede gestellt, aber die von Woods vertretene Position wurde von ihm mit der Begründung abgelehnt, daß die unbegrenzte
Übertragbarkeit des Erregers der Tabakmosaikkrankheit gegen die Annahme eines oxydierenden Enzyms spreche. Stattdessen schlug er vor, von einem nichtlebenden „Phytotoxin“ auszugehen. Dieses Gift,
das normalerweise ein harmloses Stoffwechselprodukt der Pflanzenzelle sei, verursache physiologische Störungen (wie eben die Mosaikkrankheit), wenn es im Ergebnis eines sehr erhöhten
Pflanzenmetabolismus akkumuliert werde. Das Gift könne dann in normale Zellen eindringen, wo es über eine physiologische Kontaktwirkung ein Mehrprodukt von Gift induziere. Die Übertragbarkeit
sollte darin ihre Erklärung finden, daß das Gift die Eigenschaft hätte, in einer physiologisch-autokatalytischen Form zu wirken (1905: 415 f.). Daß das Virus der Mosaikkrankheit ein
Stoffwechselprodukt der Tabakpflanze selbst sei (die Reizfolge einer pathogenen Abweichung des Stoffwechsels, die mit der Neubildung des reizenden Stoffes einhergeht), daß es also als Erzeugnis
des infizierten Wirtskörpers eine endogene Herkunftsgeschichte habe, wurde später u.a. auch von Doerr (1923) vertreten. Dementsprechend wurden Ergebnisse von
Laborversuchen zur Erzeugung von Krankheiten wie der Tabakmosaikkrankheit nicht als Resultat der Aktivierung latenter Infektionen mittels irgendwelcher
Eingriffe, sondern im Sinne der Ankurbelung einer krankhaften Abweichung des Stoffwechsels des jeweiligen Organismus gedeutet (siehe Fust 1944: 202 f.).
Weder Ivanovskij, Beijerinck noch Woods konnten jene Forderungen erfüllen, von denen seinerzeit die Beweiskraft von Behauptungen zur Verursachung von Infektionskrankheiten abhängig gemacht wurde,
Forderungen, die in den sogenannten Kochschen Postulaten festgehalten sind (Koch 1881)[11]. In der Folgezeit stieß man auch bei der Untersuchung anderer Krankheiten auf solche Schwierigkeiten,
und nicht nur in der Pflanzen-, sondern auch in Tier- und Humanpathologie. Eine wichtige Rolle für die weitere Virusforschung spielten die Arbeiten von Loeffler und Frosch über die Ätiologie der
Maul- und Klauenseuche, die sie in den Jahren 1897 und 1898 publizierten. Sie stellten fest, daß Tiere, die mit aus Lymphe gewonnenen bakteriell sterilen Filtraten behandelt worden waren, ebenso
erkrankten wie die mit nicht filtrierter Lymphe behandelten Kontrolltiere. Löffler und Frosch hatten bei ihrem Versuch, in dessen Ergebnis sie darauf gestoßen waren, daß mit bakterienfreien
Filtraten aus Kälberlymphe injizierte Versuchstiere ebenso erkrankten wie die Kontrolltiere, zunächst erwartet, vielleicht so ein dem Diphtherietoxin ähnliches Gift zu gewinnen. Bakterien als
Erreger der Maul- und Klauenseuche hatten sich nicht finden lassen. In bakteriell steriler Lymphe ließen sich wohl morphologische Elemente verschiedener Art finden. Doch konnten keine als Erreger
anzusehende Gebilde nachgewiesen werden. Das überraschende Ergebnis, daß die Wirksamkeit der Lymphe durch die Filtration nicht
beeinflußt wurde, ließ sich durch Versuche an zahlreichen Kälbern und Schweinen reproduzieren: Immer wieder konnte mit Blaseninhalt von an Maul- und Klauenseuche erkrankten Tieren, der durch
Kieselgurkerzen gefiltert worden war, das gleiche Krankheitsbild bei damit infizierten Tieren erzeugt werden. Für die Erklärung dieses Phänomens sahen Löffler und Frosch zwei Möglichkeiten:
Entweder enthielt die bakterienfrei filtrierte Gewebeflüssigkeit ein gelöstes, außerordentlich wirksames Gift, oder die nicht auffindbaren Erreger der Maulund Klauenseuche waren so klein, daß sie
die Poren eines Filters, das die winzigsten bekannten Bakterien zurückhalten konnte, zu passieren imstande waren. Die Entdecker des filtrierbaren Agens der Maul- und Klauenseuche entschieden sich
für die letztgenannte Möglichkeit. 1898 schrieben sie in einem Bericht der deutschen Kommission zur Erforschung der Maul- und Klauenseuche folgendes: „Wenn es sich durch die weiteren
Untersuchungen der Kommission bestätigen sollte, daß die Filtratwirkungen, wie es den Anschein hat, in der Tat
durch solchewinzigsten Lebewesen bedingt sind, so liegt der Gedanke nahe, daß auch die Erreger zahlreicher anderer Infektionskrankheiten der Menschen und der Tiere, so der Pocken, der
Kuhpokken, des Scharlachs, der Masern, des Flecktyphus, der Rinderpest usw., welche bisher vergeblich gesucht worden sind, zur
Gruppe dieser allerkleinsten Organismen gehören“ (1898:371).
Die Beobachtungen des Phänomens, daß der Saft der mosaikkranken Blätter nach Filtration durch Porzellanfilter seine ansteckenden Eigenschaften bewahrte, waren von Ivanovskij eine Reihe von Jahren
nicht fortgeführt worden. Er nahm sie erst wieder 1897/ 1898 im Rahmen seiner Habilitationsarbeit in Angriff, die 1902 veröffentlicht wurde (auf Basis dieser Arbeit erschien von ihm 1903 ein
Aufsatz in einer deutschen Zeitschrift). In dieser Arbeit setzte er sich auch mit den Beobachtungsergebnissen und Auffassungen von Beijerinck
(1899), Woods (1899) sowie von Löffler und Frosch (1898) auseinander, die ja zu diesem Zeitpunkt bereits der Öffentlichkeit vorlagen. Vor allem die beiden erstgenannten Forscher
beschäftigten ihn, die beide - wie oben dargetan - vom nichtbakteriellen Charakter der sich dem Zugriff entziehenden Ursache der Tabakmosaikkrankheit überzeugt waren. Ivanovskij betrachtete
Beijerincks Konzept, das die Annahme eines nichtkorpuskulären Charakters des Erregers nahelegte, als nicht zwingend. Ebenso hielt er die von Woods verfochtene Auffassung für nicht stichhaltig.
Die künstliche Übertragbarkeit der Krankheit mittels Inokulation gesunder Pflanzen über eine große Population und mehrere Generationen hinweg war für ihn mit der Annahme nicht vereinbar, daß es
sich um ein pflanzeneigenes Enzym handeln würde, weil sich ja dann die infektiöse Wirkung irgendwann erschöpfen müßte. Aufgrund seiner eigenen Untersuchungen war er davon überzeugt, daß es sich
um einen infektiösen exogenen Erreger handele, der korpuskulärer Natur sein müsse, sich aber auf künstlichen Medien nicht züchten lasse. Ivanovskij nannte den Erreger abwechselnd Virus oder
Mikrobe, wobei er doch zu der Ansicht neigte, daß das gesuchte Agens wohl ein Bakterium mit Sporenbildung sein könnte.
Ivanovskij führte verschiedene Experimente zur Erhärtung seines Standpunktes aus, daß der Erreger Partikelcharakter habe. Und so suchte er nach Mikroorganismen, die klein genug wären, Filter zu
passieren. Im Ergebnis mikroskopischer Studien bemerkte er in den Zellen kranker Blätter Einschlüsse und kristalline Ablagerungen in Form von farblosen Blättchen (siehe 1953:109-110), worin er
den pathologischen Ursprung der Tabakmosaikkrankheit gefunden zu haben glaubte. Daß nun aber diese „Ivanovskij-Kristalle“ - wie sie später genannt werden sollten - das gesuchte Virus selbst
sein könnten, wurde von ihrem Entdecker noch nicht vermutet. In den kristallinen Einlagerungen äußerte sich nach seiner Auffassung eine Reaktion der Zellen auf die Irritation, die von den
Erregern hervorgerufen würde. Die in fixierten und gefärbten Zellen entdeckten und von ihm für den kausalen Erreger der Tabakmosaikkrankheit gehaltenen kleinen amöbenähnlichen Strukturen,
die er „zooglea“ nannte, ließen sich aber nicht isolieren. Ivanovskij schlug vor, das Agens als einen sporenbildenden Mikroorganismus zu verstehen. Die Sporen, und nicht der Mikroorganismus
selbst, seien filtrierbar. Damit wollte er die Infektiösität eines auf künstlichen Nährböden nicht kultivierbaren Filtrats erklären. Wenn die Sporen nur in lebenden Pflanzen oder allgemein nur
unter optimalen Bedingungen keimen könnten, dann würde dies auch den Mißerfolg der Versuche erklären, die Mikrobe in vitro aus infektiösem Filtrat zu kultivieren. In Hitzeresistenz und Widerstand
gegen Entfeuchtung sah Ivanovskij weitere Hinweise darauf, daß in den Filtraten Sporen sein könnten.
Die Anschauung, daß das Virus kein lebender Organismus (ein winziges Bakterium, eine „Ultramikrobe“), sondern ein enzymartiger Stoff sei, war eng verknüpft mit der Erwartung, daß man ein chemisch
reines Virus gewinnen könne. Das Verständnis, daß es sich bei den Viren um chemische Moleküle handele und daß sie spontan in Wirtskörpern aufträten, ohne daß es exogene Infektionen gegeben habe,
gewann an Plausibilität, nachdem es 1935 Stanley gelungen war, das Tabakmosaikvirus in kristalliner Form darzustellen. Das Virus gab sich ihm als etwas zu erkennen, das sich in allen
Eigenschaften wie ein chemisch reiner Eiweißstoff verhält, ohne Beimischungen von Fett, Lipoiden, Kohlehydraten und Salzen. Einen derartigen Körper konnte man sich kaum als einen individuellen
Organismus vorstellen. Das Virus präsentierte sich als ein langgestrecktes Molekül von sehr hohem Molekulargewicht. Die gewonnene Substanz in Kristallform erwies sich als etwas, das zwischen
100-1000mal infektiöser als der virushaltige Pflanzenrohstoff war, aus dem sie gewonnen wurde. Auch durch mehrfaches Umkristallisieren verminderte sich die Infektionskraft nicht. Stanley
kennzeichnete das Virus als ein Globulin oder Proteinmolekül [12]. Nach dieser Entdeckung erwiesen sich noch weitere pflanzliche Virusarten als kristallisierbar. Schließlich wurde berichtet, daß
auch bei einer Reihe von Tierviren die chemische Strukturforschung gezeigt habe, daß diese eine definierte stoffliche Zusammensetzung aufwiesen. „ ...Viren, wie die Maul- und Klauenseuche
und das Kaninchenpapillom stehen dem Tabakmosaikvirus an Einheitlichkeit nicht nach. Bei der Untersuchung der Polyederkrankheit der Insekten zeigte es sich, daß die in den viruskranken Raupen
auftretenden Polyeder wahrscheinlich als Kristallisate reiner Virusproteine aufzufassen sind. Diese tierischen Viren sind also chemische Verbindungen und keine Organismen“, so Schramm (1942a:
258). Und in einem anderen Aufsatz desselben Jahres wird ausgeführt, daß aus den Bläschen der an Maul- und Klauenseuche erkrankten Rinder ein hinsichtlich des Molekulargewichtes vollkommen
einheitlicher Eiweißstoff isoliert worden sei. Auch aus den Warzen des Cottontail-Kaninchens sei ein einheitliches Protein gewonnen worden. Sie
müßten als chemische Moleküle angesehen werden, auch wenn es noch nicht gelungen sei, diese in kristallisierter Form zu gewinnen (Schramm 1942b: 793)[13].
Die krankmachende Wirkung von Filtraten konnte in der Folgezeit noch bei etlichen anderen Infektionsarten belegt werden, ohne daß man sich mit der Anhäufung von empirischem Wissen gleichsam
sukzessive einer einheitlichen Auffassung zur Natur dieser Erreger angenähert hätte. Es blieb weiterhin offen, ob solche winzigen infektiösen Agenzien wirklich Mikroorganismen oder bloße
chemische Substanzen sind. Ob nun diese oder jene Position eingenommen oder zurückgewiesen wurde - es konnten in jedem Falle empirische Belege sowohl zur Verteidigung als auch zu Angriffszwecken
präsentiert werden.
Für die Mikrobennatur des Virus sprach zum einen die unbegrenzte Übertragbarkeit der von filtrierbaren Erregern hervorgerufenen Infektionskrankheiten von einem empfänglichen Individuum auf das
andere, wobei hierzu jedesmal nur minimale Substanzmengen nötig waren, die im Körper des Empfängers eine sehr beträchtliche Verdünnung erfahren mußten. Es ließ sich denken, daß selbst der
wirksamste Stoff durch diese fortgesetzte Verdünnung alsbald unwirksam werden würde, wenn nicht ein entgegengesetzt gerichteter Vorgang kompensatorisch eingriffe, die Fähigkeit, aus sich heraus
an Menge zuzunehmen, sich durch Assimilation fremdartiger Stoffe unter steter Wahrung der ursprünglichen Eigenschaften zu vermehren, was aber ausschließlich als Attribut der lebenden Substanz
galt (siehe Doerr 1923: 909). „Daß ein Eiweißmolekül aus sich herauswachsen und sich teilen soll, ist bei der bisherigen Auffassung über Leben und Vermehrung noch unfaßbar“, wie Seiffert ausführt
(1938: 9).
Weil sich die verschiedenen Virusarten durch bestimmte physikalische und chemische Einflüsse inaktivieren („abtöten“) ließen (so daß das veränderte Material nicht mehr infektiös war), ohne daß
dies die chemischen und serologischen Eigenschaften sowie die Form der mikroskopischen Kristalle berührte - sie blieben erhalten -, kam ebenfalls dem Verständnis des Virus als einer Mikrobe
entgegen: Daß man Bakterien der Vermehrungsfähigkeit und damit auch ihrer Infektiösität durch Abtötung beraubt, ohne die chemische Zusammensetzung ihrer Körpersubstanzen erkennbar zu modifizieren
und ohne die Antigenfunktionen irgendwie zu tangieren, war ja Mikrobiologen und Immunologen geläufig.
Burnet und Andrewes verwiesen auf „das Vorkommen immunologisch oder funktionell unterschiedlicher Typen, durch deren Übertragung innerhalb ziemlich weiter Grenzen stets wieder der Ausgangstyp
erhalten wird. Jeder Typ des Maul- und Klauenseuchevirus verursacht das gleiche Krankheitsbild beim Meerschweinchen, und trotzdem bleibt der immunologische Charakter der verschiedenen Typen
unverändert, ob die Passage nun im Meerschweinchen oder in einem anderen empfänglichen Tier geschieht“ (1933: 169; siehe auch Munk 1995: 7 ff.). Beim Herpes sei es, so Burnet und Andrewes weiter,
möglich, „durch geeignete Passagen solche Stämme zu erhalten, die ... neurotrop oder dermotrop sind und sich ... mit diesen Eigenschaften vermehren.“ Die gleiche Eigenschaft wiesen
Geflügeltumorviren und Bakterienviren auf (auf diese Arten wird weiter unten eingegangen), „eine Eigenschaft, die wahrscheinlich allen lebenden Organismen irgendwelcher Art gemeinsam ist. Jeder
reine Passagenstamm wird gewisse vererbbare, für ihn charakteristische ... Eigenschaften aufweisen, die unabhängig vom umgebenden Milieu sind und ihn von anderen Stämmen unterscheiden.“ Das
Vorkommen solcher Typenindividualität bei übertragbaren Erregern der fraglichen Art lege den Schluß nahe, „daß es sich um selbständige Mikroorganismen mit Eigenvermehrung handelt“ (ebenda).
Die Vorstellung des Virus als eines Stoffwechselprodukts hielt Gratia (1921: 217 ff.) nur dann für vertretbar, wenn nachgewiesen werden könnte, daß es sich bei dem Vorgang immer um Wirtszellen
der gleichen Art handelt; wie sonst könnte ein und dasselbe Protein, wenn es als Reiz wirkt, den Stoffwechsel in stets gleicher Weise und unter Bildung identischer Stoffwechselprodukte
modifizieren. Viren würden aber ihren ursprünglichen Charakter bei der serienweisen Übertragung auch dann wahren, wenn die Wirtsspezies
wechselt – ein untrügliches Kennzeichen autonomen Verhaltens. Daß beispielsweise aus Herpesvirus immer nur Herpesvirus wird, gleichgültig ob seine Vermehrung in der Haut des
Menschen oder im Kaninchengehirn erfolgt, war für ihn ein Beweis gegen das Konzept der endogenen Virusbildung. Eine Verwandschaft in chemischer oder serologischer Hinsicht des
Virusproteins mit dem normalen Eiweiß des Wirtes, die die Hypothese von der endogenen Virusproduktion gestützt hätte, empirisch nachzuweisen, wollte nicht gelingen. So war Chester (1936) zunächst
davon überzeugt, daß er mit Hilfe der Komplementbindung und der Anaphylaxie gekreuzte Reaktionen zwischen kristallinischem Mosaikvirusprotein und normalem Eiweiß
der Tabakpflanze nachgewiesen hätte. Aus Nachprüfungen ergab sich jedoch, daß die Präparate des Virusproteins mit Normaleiweiß verunreinigt waren (siehe
Doerr 1938: 36). Seiffert verwies auf die Immunitätsforschung: „Auf Grund der Immunitätsforschung weiß man, daß jedes bislang in dieser Richtung
untersuchte Virus eine ihm eigene Antigenstruktur hat. Vakzinevirus, gewonnen vom Mensch, Rind, Kaninchen, aus Gewebskulturen, aus der Eikultur, ergibt stets die gleichen spezifischen Reaktionen
mit Immunseren. Es wäre biologisch noch schwerer einzusehen, daß ein Virus ganz gleicher Eiweißstruktur in Zellen von so verschiedenen Tieren ganz gleichmäßig gebildet werden soll. Das gleiche
gilt aber auch für das sehr kleine Virus der Maul- und Klauenseuche. Es ist recht unwahrscheinlich, daß seine drei in ihrer Struktur serologisch scharf trennbaren Typen in Rind, im
Meerschweinchen wie in der Kultur ganz gleichmäßig erzeugt werden können. Eine derartige Entstehung eines Virus aus den Bestandteilen der Zellen ist viel schwieriger zu fassen als die ebenfalls
so unverständliche Eigenvermehrung von Vira, die anscheinend reine Eiweißmoleküle sind“ (1938: 9).
Es waren auch Fälle bekannt, daß ein und dieselbe Pflanze gleichzeitig mit zwei oder mehreren Virusarten infiziert ist, zum Beispiel der Tabak mit Mosaikvirus und Ringfleckvirus. In solchen
Fällen müßte man, der Idee endogener Virusentstehung gehorchend, annehmen, daß der pathogene Eiweißstoffwechsel in demselben Wirt mehrere Sorten hochmolekularer Proteine hervorzubringen vermag,
die aber dennoch ihre besonderen Eigenschaften bewahren, da sie sich durch eine Reihe von Methoden isolieren lassen. Dies machte es problematisch, die beobachteten Fakten der Idee anzupassen,
Virusarten seien nichts anderes als Proteinmoleküle (siehe Smith 1935: 21 ff.).
Die Auffassung, daß es sich bei dem filtrierbaren Erreger um eine Mikrobe handele, ließ sich dadurch glaubhaft machen, daß man auf dessen Fähigkeit verwies, sich zu ändern und anzupassen. Im
Hinblick auf die Tabakkrankheit konnte gesagt werden, daß „neben den gewöhnlichen hell- und dunkelgrünen Flecken auch selten einmal gelbe vor(kommen). Wenn diese nun ausgeschnitten und auf andere
Pflanzen verimpft werden, so erscheint dann allein die gelbe Variante. Nun könnte es ja sein, daß bei der ersten Pflanze eben drei verschiedene Arten des Virus von vornherein vorhanden waren.
Wenn man aber das grüne Virus, das bei derselben Tabakart immer grün bleibt, auf eine andere Tabakart bringt, erscheinen auf einmal gelbe Flecken. Es spielt also die Umweltveränderung eine Rolle“
(Heilmann 1940: 657).
Aber es gab auch empirisch gestützte Argumente, mit denen das Konzept der endogenen Virusproduktion verteidigt und die Vorstellung vertreten werden konnte, daß es sich beim Virus um ein Contagium
inanimatum, um ein einheitliches Protein handle, das als organischer Autokatalysator wirksam sei. Das Verständnis des Virus als einer filtrierbaren Mikrobe wurde von etlichen Virusforschern schon
deshalb bezweifelt, weil sich nach ihrer Auffassung submikroskopische Dimensionen mit jenem Minimum an Organisation und Struktur nicht vertrugen, das bei einer lebendigen „Ganzheit“ nach
verbreiteter Anschauung vorauszusetzen war. Geleitet von der vorherrschenden Lehre, das Lebendiges zellulär organisiert sein müsse, schien es plausibler zu sein, das Phänomen als eine chemische
Substanz zu deuten, weil sich so winzige Zellen, wie im Falle einer mikrobischen Natur der filtrierbaren Viren angenommen werden müßte, nur schwer vorstellen ließen. Das
filtrierbare Agens schien auch viel zu klein zu sein, um das „Raumbedürfnis des Eiweißes“ (Errera 1903: 73) zu befriedigen, ohne das an
Leben nicht zu denken war. Auch in den 30er Jahren war es noch vielen ein Rätsel, wie ein aus wenigen Molekülen bestehendes Teilchen so beschaffen sein kann, daß es in der Lage ist, alle
komplexen Funktionen eines lebenden, autonomen Organismus zu realisieren. Elementarorganismen schienen wenigstens so groß sein zu müssen, daß diesem
Erfordernis Rechnung getragen werden könnte [14]. Andriewsky (1915: 90) fand heraus, daß das Hühnerpestvirus Filter passierte, welche Hämoglobin zurückhielten. Der Durchmesser der
Hämoglobinmoleküle wurde mit 2,3-2,5 mµ angegeben, und Andriewsky folgerte daher, daß die Moleküle oder Mizellen des Virus noch kleiner sein müßten, so daß die Virusteilchen keine Gebilde sein
könnten, die den bislang bekannten tierischen oder pflanzlichen Zellen ähnlich sind [15].
Die Existenz von Lebewesen mit submikroskopischen Dimensionen ließ sich auch mit dem Argument in Frage stellen, daß den pathogenen Ultramikroben, sollte es sie geben, saprophytische,
in vitro leicht züchtbare Organismen gegenüberstehen müßten. Man konnte darauf verweisen, daß alle seinerzeit unternommenen Anstrengungen, um
solche nachzuweisen, zu keinem Erfolg geführt hatten (Molisch 1919)[16].
Auch daß die Infektiösität nur auf artifiziellem Wege übertragbar war, wurde als Argument gegen die Annahme einer Mikrobennatur des Virus verwendet. Angesichts der künstlichen Übertragung schien
es Hunger treffender zu sein, von einem Gift auszugehen, das in der Lage sei, in normalen Zellen eine physiologische Kontakthandlung zu bewirken, mit dem Ergebnis, daß sekundär dort das gleiche
Toxin gebildet werde. Das Toxin der Mosaikkrankheit habe die Eigenschaft, auf eine physiologisch-autokatalytische Weise zu wirken (1905: 296). Ebenso hielt auch Baur die künstliche
Übertragbarkeit der Krankheit für etwas, das sich mit einer Mikrobennatur des Virus nicht vereinbaren lasse (1904).
Virusarten wie zum Beispiel Kuhpocken legten ein Verhalten gegen mechanische, osmotische und chemische Einwirkung an den Tag, das das Bestehen einer Oberflächenmembran fraglich erscheinen
ließ, wie sie aber die meisten Mikroorganismen aufweisen (siehe Schramm 1942b: 794).
Als experimentell prüfbares Kriterium für die Zuordnung der Viren zu den Organismen oder zu den chemischen Wirkstoffen galt die Art ihrer Zusammensetzung, wobei Einheitlichkeit und eine
definierte chemische Zusammensetzung die letztgenannte Variante nahelegte, wohingegen eine dimensionale Variabilität der Viruselemente, die manche Forscher beobachtet haben wollten, eher danach
angetan war, diesen Gebilden den Charakter von Organismen zuzuerkennen. Eine Vermehrung durch Zellteilung müßte zu heterogenen Viruspartikeln führen, wohingegen eine weitgehende Homogenität, wie
sie Svedberg und Erikson-Quensel beim Tabakmosaikvirus in der Ultrazentrifuge und Elektrophorese ermittelt haben wollten (1936; Hinweis aus: van Helvoort 1996: 288)[17], als Eigenschaft einer
chemischen Substanz galt. Dadurch, daß sich nun Viren in Form von makromolekularen Proteinen darstellen ließen - das heißt, von Proteinen, deren große Moleküle im Lösungszustand mit den
Viruselementen identifiziert werden konnten, hatte sich für jene Forscher, die von einer endogenen Virusentstehung überzeugt waren, herausgestellt, daß die infektiösen Agenzien, so Schramm
(1942b: 791), „unter sich einheitlich und in ihrer chemischen Zusammensetzung definiert sind, so daß sie doch als chemische Wirkstoffe aufgefaßt werden müßten.“ Die Fähigkeit, zu kristallisieren,
„kommt ... im allgemeinen nur chemischen Molekülen, nicht aber den kompliziert zusammengesetzten Organismen zu“ (ebenda, 792). Die chemische Zusammensetzung des Agens müßte „in gewissen Grenzen
variabel und (dürfte) nicht so definiert (sein), daß die Zuordnung einer chemischen Formel sinnvoll erscheint“, wenn es sich um Individuen einer „wägbare(n) Menge von Mikroorganismen ein und
derselben Art“ handelte. Die Konstruktion eines Kristallgitters setze jedoch eine weitgehende Übereinstimmung und eine große Regelmäßigkeit im Aufbau der Einzelteilchen voraus (ebenda, 791).