初期のウイルス研究の歴史について

(ドイツ語)2/6




DIE ENTDECKUNG DER „BAKTERIOPHAGIE“

Ein besonderes Kapitel in der Geschichte der Virusforschung wurde Ende des 19. Jahrhunderts mit  der  Entdeckung  bakterienauflösender  Stoffe  eingeläutet.  Das  auflösende  Element,  der „Bakteriophage“, der auch als „lytisches Agens“ oder „bakteriophages Lysat“ benannt wurde (von Preisz 1925: 2), wies Dimensionen auf, die man auch der Teilchengröße einer großen Anzahl tier- und pflanzenpathogener Virusarten zugesprochen hatte (siehe u.a. Elford/Andrewes 1932; Schlesinger 1932). Er passierte Porzellanfilter und bedurfte zum Wachstum der Anwesenheit von Bakterien, so wie ein Virus nur in Gegenwart lebender Zellen gezüchtet werden konnte. Und mit denselben Techniken, die die chemische Reinigung verschiedener Virusarten gestatteten, ließen sich auch aus Phagensuspensionen gereinigte Konzentrate gewinnen, deren Wirksamkeit gegenüber der Ausgangslösung um bis zu sechs Zehnerpotenzen höher war (siehe Schlesinger 1934; Northrop 1938), und wie Tier- und Pflanzenviren schienen sie ebenso chemisch gleichartig zu sein, das heißt, aus Nukleoprotein zu bestehen (siehe Alloway 1933: 255). Der Phage wurde von manchen Forschern deshalb zu den virusähnlichen Erscheinungen gerechnet (siehe Seiffert 1938: 194;  Bloch 1940) und als „Bakterien-Virus“ benannt. Die genannten  Analogien  regten  zu  Untersuchungen  an,  mit  denen  herausgefunden  werden  sollte, inwieweit sich Prozesse der Bakteriophagie der Infektion bei Viruskrankheiten gleichsetzen lassen und ob sich die Phagen auch in anderer, mehr biologischer Hinsicht virusähnlich verhalten (siehe Bloch 1940: 481).[18]

 

Bakterienverändernde (-„schädigende“ und -auflösende) Stoffe wurden erstmals in den späten 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts beobachtet.  Nuttal (1888) und Buchner (1889) berichteten von einer bakterienzerstörenden Wirkung des Blutserums auf den Typhusbazillus, wobei diese Wirkung dem darin enthaltenen Eiweiß zugeschrieben wurde. Kruse und Pansini teilten das Verschwinden von Pneumokokken in älteren, in ihrem Wachstum zum Stillstand gekommenen Bouillonkulturen mit (1892). 1899 wurden Befunde gemeldet, denenzufolge sich Bakterien durch Pyozyanase auflösen würden (Emmerich, Loew 1899).[19]  Conradi und Kurpjuweit konnten in den Kulturen von Bakterien der Typhus-Coli-Gruppe das Vorkommen von selektiv wachstumshemmenden, thermolabilen Stoffen nachweisen, die sich auch im Darminhalt von Menschen fanden, von Stoffen, die nach ihrer Auffassung von den Bakterien im Verlaufe ihres Wachstums gebildet würden und in naher Beziehung zu intrazellulären Fermenten stünden. Zur Benennung  solcher  „Hemmungsstoffe“  schlugen  sie  die  Bezeichnung  „Autotoxine“  vor (1905a: 1764; siehe auch Conradi/Kurpjuweit 1905b). 

 

1915 berichtete Twort, ein britischer Bakteriologe, daß er auf die Erscheinung einer übertragbaren Bakterienauflösung gestoßen sei, auf die fortdauernde Übertragbarkeit antibakterieller Wirkungen von einem Quantum Kultursubstrat auf das andere. Das zur Bakterienauflösung (Lyse) fähige und thermolabile Agens war noch in hohen Verdünnungen (Übertragung geringer Mengen einer lysierten auf eine frische Bouillonkultur) wirksam und durch Poren von Porzellankerzen (Berkefeldkerzen) filtrierbar. Bezweckt hatte Twort zunächst folgendes: Es ging um den Nachweis der Existenz filtrierbarer ultramikroskopischer Mikroorganismen [20], also von Viren, nicht nur in pathogenem Material (zum Beispiel in Kälberlymphe), sondern auch in Erde, Dung usw. Die Existenz saprophytischer Ultramikroben wurde seinerzeit für sehr wahrscheinlich gehalten. Weil man davon ausgehen konnte, daß neben gewöhnlichen Bakterien für jeden pathogenen Mikroorganismus viele nichtpathogene Variationen des gleichen Typs in der Natur vorkommen, war es naheliegend anzunehmen, daß es sich bei den filtrierbaren Viren ähnlich verhält (Twort 1915: 1241), ungeachtet dessen, daß es Schwierigkeiten bereitete, die Annahme empirisch zu rechtfertigen. Tworts ursprüngliche Annahme bestand darin, daß, wenn nicht-pathogene  Variationen  in  der  Natur  vorkommen,  sie  wahrscheinlich  leichter  kultivierbar  sein müßten als pathogene. Es wurden Versuche unternommen, sie aus solchen Materialien wie Dung, Gras, Wasser u.a.m. auf getesteten und speziell präparierten Medien zu züchten (Agar, Serum u.a.). Ihnen wurden verschiedene Mengen von Chemikalien oder Extrakten (Pilze, Samen) hinzugefügt. Das auf Viren zu testende Material wurde mit Wasser versetzt, auf 30° Celsius erhitzt (auch zu verschiedenen Zeitpunkten) und dann durch eine Kerze gefiltert. Danach wurden verschiedene Medien mit dem Filtrat geimpft.

 

Diese Experimente erbrachten aber kein Wachstum des filtrierbaren Virus. In der Hoffnung, die Virulenz  filterpassierenden  Virus  auszulösen,  wurden  auch  verschiedene  Tierexperimente durchgeführt. Doch die Ergebnisse waren immer negativ. Es gelang niemals, aus den Filtraten durch neuerliche Überimpfung auf die diversen Kultursubstrate eine filtrierbare Mikrobe („a true filter-passing virus“) zu züchten. Es traten aber Resultate ein, die ursprünglich gar nicht vorgesehen waren, Resultate, die bei der Untersuchung zur Züchtungsmöglichkeit filtrierbarer Keime auftraten, wofür Twort glyzerinierte Kälberlymphe auf Agar ausgesät hatte. Beimpfte Agarröhrchen zeigten, nachdem sie einen Tag lang auf 37° Celsius erwärmt worden waren, ein Wachstum von Kokkenkolonien, die zunächst weiß und opak (watery looking areas) aussahen, von denen aber nach einiger Zeit die meisten glasig erschienen. Wenn von den Kolonien, die erst wenig glasig waren, Ausstriche angelegt wurden, ergaben sich opake und glasige Kolonien. Wurde andererseits an den Rand einer opaken Kolonie eine Spur von einer glasigen gebracht, so nahm von dieser Stelle aus die glasige Auflösung der Kolonie ihren Anfang. Die ganze Kolonie erschien nach kurzer Zeit glasig und bestand mikroskopisch aus nach Giemsa färbbaren feinsten Granula (und nicht mehr aus Kokken). Twort wies nach, daß das wirksame Agens solcher transparenter Kolonien filtrierbar ist. Versuche mit bestimmten Bazillen der Typhus-Coli-Gruppe führten zu vergleichbaren Ergebnissen.

 

Twort stellte außerdem fest, daß diese Prozesse schneller und umfassender verlaufen, wenn frische und junge Kulturen statt alte verwendet werden, und daß sich kaum etwas bei toten oder jungen, kurz vorher abgetöteten Kulturen regte. Das glasige Material passierte, wenn es mit Wasser verdünnt wurde, mit Leichtigkeit die feinsten Filter. Und ein Filtrattropfen, auf ein Agarröhrchen übertragen, reichte dafür aus, das Röhrchen ungeeignet für Mikrokokken zu machen. Zunächst trat Wachstum ein, aber bald zeigten sich glasige Punkte, die sich dann ausdehnten. Die Punktezahl hing von der Verdünnung des glasigen Materials ab. In einigen Fällen war es so aktiv, daß das Wachstum gestoppt und jene Erscheinung direkt wirksam wurde. Es erwies sich, daß sich das wirksame Agens von Bakteriengeneration zu Bakteriengeneration fortführen ließ und daß es keines Wachstums durch sich selbst fähig war.

 

Twort hatte bei dem Versuch, definitive Schlußfolgerungen aus den Ergebnissen zu ziehen, zunächst erwogen, daß er die Wirkung einer Ultramikrobe erfaßt habe. Schließlich sah er aber darin ein autolytisches Prinzip (ebenda, 1242 f.).

Das Phänomen einer übertragbaren Bakterienauflösung wurde wenige Jahre später auch vom aus Kanada stammenden Bakteriologen d‘Herelle beschrieben. Er hatte beobachtet, daß das Filtrat von Ruhrrekonvaleszenten-Stuhl imstande ist, lebende Ruhrbazillen in der Kultur aufzulösen  (1917;  dt.  publiziert  1922).  D‘Herelle  führte  folgende  Versuche  aus:  Tropfen  der Darmentleerung eines Ruhrkranken wurden einer sterilen Bouillon zugegeben. Die Mischung wurde dann für einen ganzen Tag in einem Brutschrank abgestellt. Danach filtrierte er sie durch eine Chamberland-Kerze, die alle Bakterien zurückhält. Mit einem Teil der klaren Filtratflüssigkeit (10 Tropfen) wurde beim nächsten Schritt ein frisches, zuvor mit bakteriellen Ruhrerregern (Shiga-Bazillen) beimpftes steriles Bouillonröhrchen versetzt und ebenfalls bebrütet. Im Röhrchen trat zunächst eine normale Verdunkelung durch Vermehrung der zugesetzten Ruhrkeime ein (nach Bebrütung). Danach wurde wiederum filtriert und ein Teil des Filtrats einem neuen Röhrchen zugesetzt und so fort. Überraschenderweise blieb eines Tages das Röhrchen des letzten Versuches klar (steril). In einem Kontrollröhrchen (ohne Zusetzung von Filtrat), das ebenfalls mit Bazillen beschickt worden war, vermehrten sich die Keime normal, die Bouillon trübte sich. Damit war für d‘Herelle nachgewiesen, daß im Stuhl etwas herausfiltrierbar ist, das die Bazillen auflöst und das sich, wie aus der Verdünnungsreihe erschlossen werden konnte, vermehrt.

D‘Herelle ermittelte, daß dieser Stoff serienweise fortgezüchtet werden konnte. Wurde in das Röhrchen, in dem das Wachstum ausgeblieben war, eine Aufschwemmung von frischen Shiga-Bazillen (von einer gewöhnlichen Agarkultur gewonnen) eingesät, so wurden diese Keime nach mehreren Stunden aufgelöst; das Röhrchen erschien völlig klar. Im einzelnen: D‘Herelle versetzte eine frische Bouillon-Kultur von Bazillen mit einem Tropfen der gelösten Kultur. Nach 15 Stunden war diese ebenfalls gelöst. In der gleichen Weise setzte er wiederum einen Tropfen der gelösten Kultur einer neuen Aufschwemmung zu und so fort. Statt sich abzuschwächen, beschleunigte sich die lytische Wirksamkeit nach jeder Passage. Das heißt, die Auflösung beanspruchte  um  so  weniger  Zeit,  je  mehr  Passagen  vorangegangen  waren,  bis  sich  ein-Mindestniveau einstellte, das sich nicht mehr veränderte. Diese serienweise Fortführung des lytischen Prinzips und dessen Vermehrung bei Auflösung der Bakterien wertete nun d‘Herelleder Twortschen Auffassung entgegengesetzt - als Nachweis dafür, daß es sich dabei um ein auf Kosten der Bakterien lebendes Wesen,  um einen Parasiten des Bakteriums handele (d‘Herelle 1922), so daß deren Studium das Studium  „der Pathologie der Bakterien“ sei (d‘Herelle 1921: 665). Die Größe dieser „Ultramikrobe“, die er in einem seiner Aufsätze auch als „a living collodial micell“ benennt (1928: 541), würde die eines Eiweißmoleküls nicht übertreffen (1921: 664).

Ein weiterer Versuch sollte diese These untermauern, ein Versuch, die bakterienauflösende Wirkung auf festen Nährböden sichtbar zu machen: D‘Herelle setzte einer Bouillon-Kultur von Ruhrbazillen eine kleine Menge einer gelösten Kultur zu (etwa 0,00001 cm3). Daraufhin wurde sofort sowie nach ein-, zwei- und dreistündigem Bebrüten jeweils ein Tropfen davon auf einem Bazillenrasen (auf Schrägagarröhrchen) ausgestrichen. Die Variation der Kontaktzeit führte zu folgenden Resultaten: Im ersten Röhrchen (ohne Bebrütung) war der Agar mit einem normalen Bazillenrasen bedeckt, der zwei Löcher aufwies, also Stellen, an denen keinerlei Bakterienwachstum wahrzunehmen war. Das nach einstündiger Bebrütung beimpfte Röhrchen zeigte sechs Löcher, das nach zwei Stunden beimpfte wies nur noch eine Spur, das nach drei Stunden beimpfte wies überhaupt keine Kultur mehr auf.  Überließ man ein Röhrchen, das Shiga-Bazillen und einige Tropfen einer gelösten Kultur enthielt, sich selbst, so trat nach der - Sterilität anzeigenden - Klärung einige Zeit später eine Sekundärtrübung ein, bewirkt von Shiga-Bazillen, die gegenüber der auflösenden Wirkung offenkundig resistent waren oder geworden waren. D‘Herelle wertete die Ergebnisse seiner Versuche als Bestätigung seiner Auffassung, daß sich das, was die Bakterien auflöst, vermehre und sichtbare Formen annehme. Aus den „Löchern“ schloß er, daß sich mit der Vermehrung Kolonien bildeten, und deshalb könne es sich nur um ein korpuskuläres Lebewesen handeln. Das lytische Agens, von dem er annahm, daß es nicht nur in Stühlen von Ruhrrekonvaleszenten vorkomme, sondern in der Natur weit verbreitet sei, nannte er zunächst „Bacteriophagum intestinale“, später „Protobios bacteriophague“ und verstand darunter eine ultramikroskopische (invisible), gegen Bazillen wirkende und die Poren eines Porzellanfilters passierende Mikrobe.

Die Gegner der d’Herelleschen Position - nach Hoder (1932: 4), Otto und Munter (1928: 410) und von Gutfeld (1925: 413) bildeten sie die Majorität der Forscher [21]  - sahen im Phagen ein bakterielles Zerfallsprodukt. Und so wurde auch von einer großen Anzahl von Forschern mitgeteilt, daß sie aus Bakterien allein „Lysin“ hergestellt hätten: Gildemeister und Herzberg berichteten  Mitte  der  20er  Jahre,  sie  hätten    die  „Spontanlysinbildung“  unter  dem  Einfluß variierter Kulturbedingungen untersucht (es wurden Nährböden, Temperatur und Zeit variiert), und die Untersuchungen hätten ergeben, daß die Bakteriophagen in einem bakteriophagensterilen Reaktionsraum entstanden seien, wobei  die Spontanlysinbildung in erster Linie  von der Temperatur regiert werde (1925). Von Rosenthal wurde behauptet (1926: 612), daß er aus phagenfreien Kulturen (Ruhr, Typhus, Coli u.a.) nach einigen Passagen zahlreiche Phagen erhalten habe, so daß von einer spontanen Phagenentstehung ausgegangen werden müsse. Bordet und Ciuca, die für das d‘Herellesche Phänomen eine Stoffwechselstörung des Bakteriums („viciation nutritive“) verantwortlich machten, gaben an, daß sich nach wiederholten Injektionen normaler Colibakterien in die Bauchhöhle von mit Colikultur vorbehandelten Meerschweinchen ein übertragbares Lysin für den verwendeten Colistamm bilde, das mit dem Exsudat leicht gewonnen werden könne. Das heißt, sie beanspruchten, ein gegen Coli-Bazillen gerichtetes Lysin experimentell ohne Benutzung von Stuhlfiltraten aus jenem Peritonealexsudat gewonnen zu haben (1921). Von den Experimentatoren wurden dann diese oder jene Bedingungen kenntlich gemacht, wodurch normale Bakterien unter besondere, ihre Lebensverhältnisse in bestimmter Richtung beeinflussende Verhältnisse gebracht werden sollten, die die Lysinbildung ermöglichen oder begünstigen würden (Zusatz von Immunserum, schwacher Sublimatlösung, Leukozytenfermenten,  bestimmten  Giften  o.a.),  wobei  solche  Faktoren  auch  Gegenstand  von Auseinandersetzungen waren (siehe Otto 1923: 255).

Forscher, die von einer endogenen Virusbildung überzeugt waren, stützten sich vor allem auf Konzepte biochemischer Art (Fermentlehre, Katalysatortheorie, Lehre vom Eiweiß u.dgl.) und verstanden das lytische Element als Enzym, das das Bakterium hervorbringt, welches damit seine eigene Zerstörung bewirkt, wobei man sich, so Hoder (1932: 13), eine Analogie zu Sekretionsvorgängen  bei  Hefearten  zunutze  machen  und  auf  die  autolytische  Enzymwirkung  bei Hefekulturen (siehe Preisz 1925: 90) bzw. die lytische Fähigkeit mancher Pilze (Selbstvergiftung, -verdauung) verweisen konnte. Von einigen Forschern wurde der Phage als ein den Stoffwechsel  veränderndes  bakterielles  Toxin  vorgestellt,  das  durch  die  erkrankten  Bakterien regeneriert werde (u.a. Doerr 1922). Für Kabéshima (1920) handelte es sich dabei nur um ein normales, unbelebtes Bakterienferment, das durch Autolyse frei werde. Er vermutete, daß die Bakterienauflösung durch Leukozyten bewirkt werde. Kuttner (1921a: 1921b) berichtete, daß er ein bakterienauflösendes Filtrat aus Leukozyten, aus Schleimhautzellen des Darms und aus Leberzellen von Meerschweinchen gewonnen habe, das eine auflösende Wirkung auf Typhusund Ruhrkeime (Shigabazillen) ausübe. Nach Proca (1926: 125, 153) gehörte das Lysin zu den Endotoxinen oder intrazellulären Fermenten. Von Gruber und von Angerer sahen im „Lysin“ Verdauungsfermente, die  bereits in den normalen Bakterien vorhanden seien, die nur normalerweise nicht wirksam würden (von Gruber 1923: 204 f.; von Angerer 1923: 205 f.). Von Gruber erinnerte dabei an die Selbstverdauung des Hefepreßsaftes durch die Endotryptase und das rasche Zerfließen der Hefe unter Einwirkung kleiner Mengen von Benzol, Äther u.a. Hier konnte auf Beobachtungen Ehrenbergs in bezug auf Eiweißenzyme verwiesen werden (1922: 432). Ehrenberg konnte bei seinen Versuchen den Eiweißfermenten künstlich einen gewissen Grad von Spezifität „anzüchten“ und fortführen, wobei sich Filtrierung als begünstigend für die Fermentbildung erwiesen hatte. Aufgrund dessen bestimmten Otto und Munter die „biologische Natur des bakteriophagen Lysins ... auf Grund seines chemisch-physikalischen Verhaltens als eine hochmolekulare Lösung von Bakterieneiweiß ..., dessen Eigenschaften ... sich durch Gesetze erklären lassen, wie sie die kolloidalen Lösungen beherrschen ...“ (1928: 400). Die Bakterienauflösung sollte durch einen Zerfall der lebenden Bakterien in unbelebte, fermentativ wirksame Eiweißteilchen eingeleitet und unterhalten werden (Otto/Munter 1923: 403); die bakterienauflösenden Stoffe bestimmten Otto und Munter als die „kleinste(n) mit fermentativen Eigenschaften  ausgestattete(n)  Bakterieneiweißteilchen“  (1928:  410  ff.).  Bail  (1925),  der  der Vorstellung zuneigte, daß der Bakteriophage ein Teil der generativen Substanz des Bakterienleibes sei,  dachte an freigewordene Splitter von Zellen (im besonderen von Chromosomen): Durch die Schutzkräfte des Körpers finde ein Abbau der Bazillen statt, wobei diese gewisse Eigenschaften verlören, sich teilweise auch bis zur „Splittergröße“ verkleinerten, so daß sie bakteriendichte Filter passieren könnten. Brächte man solche, wahrscheinlich noch lebensfähige Splitter mit normalen Bazillen zusammen, so entzögen sie diesen die beim Abbau verlorenen Substanzen und machten diese Bazillen wieder zu Splittern.  

Als weiteren Vertreter eines enzymtheoretisch untermauerten Verständnisses der Phagenreproduktion ist Northrop zu nennen, der sich in den 20er Jahren mit kinetischen Enzymuntersuchungen befaßt hatte, in einem Zeitraum, in dem erst die Eiweißnatur der Enzyme nachgewiesen worden war.[22] Zur Isolation und Reinigung von Enzymen arbeitete Northrop mit Methoden und Verfahren, die sich zuvor schon bei der chemischen Isolation von Enzymen bewährt hatten (wie zum Beispiel Kristallisation und Salzfraktionierung). Die Untersuchungen brachten kristalline Produkte hervor, die jedoch keinerlei enzymatische Aktivität zeigten. Es wurde aufgedeckt, daß diese  Produkte  Vorläufer  (Präkursoren)  von  Proteinen  mit  solcher  Aktivität  waren,  und  es konnten deren autokatalytische Eigenschaften nachgewiesen werden.[23] Für Northrop lieferten autokatalytische Prozesse einen geeigneten Ausgangspunkt für die Interpretation biologischer Erscheinungen wie der Proteinsynthese und der Vermehrung im Rahmen der Biochemie und Physiologie. Und ähnlich wie aktive Enzyme über Autokatalyse gebildet werden, stellte sich Northrop auch die Bildung von Phagen vor (Northrop 1937; siehe Olby 1974: 149 f.), die für ihn und seine Mitarbeiter kein lebender und komplexer Organismus sein konnten (Krueger/Northrop 1931; Krueger/Scribner 1939; Hinweis aus: van Helvoort 1994b: 108). Gemäß diesem Konzept entwickelt sich der Phage aus einem Präkursor, der bereits im Bakterium präsent ist, in einer Reaktion analog zur Umwandlung von Pepsinogen und Trysinogen in die betreffenden Enzyme in vitro (siehe Krueger 1937: 379).[24]  Daß ruhende Bakterienzellen gewissermaßen Vorstufen von Phagen produzieren, die sich in Gegenwart von aktiven Phagen in solche umwandeln, hielt Doerr (1938: 65) wohl für eine „recht zweifelhafte Hypothese“. Doch auch wenn man sich ihr nicht anschließe, müsse man die Bedeutung der experimentellen Ergebnisse, „falls sie einer sorgfältigen Nachprüfung standhalten sollten, anerkennen; sie sprechen jedenfalls dagegen, daß die Phagen exogene Parasiten der Bakterien sein können.“ Es wurden entsprechende Untersuchungen angestellt, um den Phagen in reiner Form zu isolieren und die Existenz von Phagenpräkursoren nachzuweisen. Ergebnisse von Untersuchungen, wofür ein Staphylokokkenstamm verwendet worden war, dienten zur Begründung des Urteils, daß in Staphylokokken, wenn sie sich vermehrten, ein Phagen-Vorstadium entstehe, das sich, mit Phagen in Kontakt gebracht, selbst in Phagen umsetze.[25] Die Phagenbildung wurde an einem raschen Anstieg des Phagentiters im Vorläufer-Phagen-Gemisch ausgemacht. Daß sich Northrop dem Phagen zuwandte, ergab sich daraus, daß sich ihm das Bakterienvirus als Prototyp für die Untersuchung der Proteinsynthese darbot, zumal er sich hierbei auf Forscher wie Twort, Gratia, Bordet und andere stützen konnte, die Phagen für von Bakterien hervorgebrachte Enzyme gehalten hatten.[26]

In die Untersuchungen des bakterienauflösenden Phänomens wurden von einer Reihe von Forschern schon bald Beobachtungen von Variabilitätserscheinungen bei Bakterien einbezogen [27], der Vorstellung folgend, daß bakterielle Eigenschaften durch die Phagenwirkung zustande kämen, Eigenschaften, die über mehrere Generationen hinweg erhalten blieben, so daß es auch zulässig zu sein schien, „von einer Vererbung der Eigenschaften zu sprechen und eine genotypische Änderung des Bakteriums durch den betreffenden Phagen anzunehmen“ (Hoder 1932: 10). Daß Phagen eine Veränderung von bakteriellen Merkmalen und die Entstehung neuer Typen bewirken sollten, mußte im Widerspruch zur seinerzeit vorherrschenden Lehrmeinung der Bakteriologen behauptet werden, die an einem starren Schema von Bakteriengruppen festhielten.[28] Daß sich neue (lysinresistente) Bakterienstämme (sekundäre Kulturen) mit anderen morphologischen Eigenschaften, mit anderem Gärungsvermögen, fermentativem Verhalten usw. im Vollzug der Versuche herausbilden konnten, daß infolge der Lysinwirkung Bakterien verschwanden und wiederkehrten, so wie zum Beispiel Colibazillen bei Beginn von Ruhr, Cholera usw. verschwinden und mit der Rekonvaleszenz wiedererscheinen, „störte“ die bakteriologische Praxis, die darauf abzielte, einen wohldefinierten Mikroorganismus aus pathogenem Material  (zum  Beispiel  Eiter)  herauszulösen  sowie  Menge  und  Verteilung  der  Bakterien  zur Deutung von Krankheitserscheinungen nachzuweisen.[29] Weil es den Bakteriologen vornehmlich darum ging, Bakterien als Erreger zu identifizieren - wofür die Stabilitität der morphologischen Merkmale unberührt vom experimentellen Zugriff zu den Kulturen unterstellt werden mußte - , interessierten sie sich kaum für Variabilitätserscheinungen. Befunde, die auf solche Phänomene hinzuweisen schienen, wurden deshalb häufig der Wirkung technischer Fehler zugeschrieben.[30]

Bordet und Ciuca (1920) gingen davon aus, daß die Bakteriophagen-Reproduktion durch leukozitäre Elemente angestoßen werde (daß die Leukozyten die Bakterienauflösung verursachen könnten, wurde - wie weiter oben bereits erwähnt - auch von Kabéshima 1920 vermutet). Um sich das Fortwirken dieses Anstoßes zu erklären, nahmen sie das Vererbungskonzept zu Hilfe: Es würden sich unter dem Einfluß eines von (zum Beispiel im Ruhrstuhl massenhaft vorkommenden) Leukozyten ausgehenden Reizes Varianten in den das lytische Agens enthaltenden Kolonieformen bilden. Unter dem schädigenden Einfluß der Zellen sollten Varianten der Ruhrbazillen auftreten, die eine Autolyse fördernde Substanz enthielten. Die autolysierenden Varianten  sollten  diese  Eigenschaft  vererben  können.  Wenn  die  Bazillen  absterben,  würde  das autolytische Ferment freigesetzt, das normale Ruhrbazillen befallen könnte, die dadurch ebenfalls die Neigung zur Autolyse gewönnen. Gildemeister (1917) ermittelte, daß sich auf Stuhlausstrichplatten  (u.a.  Ruhr-  und  Colibazillen)  in  einer  Anzahl  von  Fällen  eine  bei  den verschiedenen Bakterienarten in ihren Hauptmerkmalen übereinstimmende Gruppe von eigenartig unregelmäßig gestalteten Kolonien bildeten. In diesen Kolonien zeigte sich ein mehr oder weniger eingeschränktes Wachstum des Bazillus. Einzelne Formen dieser Gruppe schlugen bei der Weiterzucht ständig ineinander um, und die „beständig umschlagende(n) Sippen“ spalteten Normalformen ab (ebenda, 54). Aus Bakterienaufschwemmungen, denen Gildemeister ein bakteriophages „Lysin“ (wie er diese Erscheinung nannte) zugeführt hatte, nahm er Abimpfungen vor, und er erhielt gleiche Formen von Kolonien (ebenda, 56). Er nannte sie „Flatterformen“, womit er später den Anspruch verband, daß er schon vor d‘Herelle entdeckt habe, daß das lytische Agens Kolonieformen  bilde (1923: 181). Nachdem ihm die Arbeiten von d‘Herelle bekanntgeworden  waren,  nahm  er  an,  daß  die  Bakteriophagie  in  das  Gebiet  der Variabilitätserscheinungen gehöre (ebenda).

Die Untersuchungen der bakterienauflösenden Phagenwirkung, deren Nachweis, so Hoder „eine beträchtliche Komplikation der Bakteriologie und ... ein endgültiges Durchbrechen ihrer allzu starren Systematik“ bedeutete, „die dank der Mutationsforschung ohnehin ... ins Wanken gekommen ist und bedenkliche Lücken aufweist“ (1932: 100 f.), führten nicht sogleich zu einer einhellig akzeptierten neuen Theorie, mit der sich die Krisensituation hätte beenden lassen. Daß sich sowohl das „d‘Herellesche Phänomen“ (Aufhellung der Bouillonkulturen ohne sichtbaren Rückstand) als auch das „Twortsche Phänomen“ (ein glasiges Material, das bei der Auflösung von auf Agar ausgestrichenen Kokkenkolonien entstand) auf den „gleichen Natursachverhalt“ beziehen würde, wurde u.a. von Gratia behauptet (Gratia/Jaumin 1921: 880); er konnte das eine Phänomen in das andere überführen  (dies im Widerspruch zu d‘Herelle, der zunächst der Meinung gewesen war, daß das von ihm entdeckte Phänomen mit dem Twortschen Phänomen nicht identisch  sei).[31] Dies  bewirkte  aber  keinesfalls  eine  Einebnung  des  Grabens  zwischen  den Sichtweisen beider Entdecker. Vielmehr entfaltete sich in der Folgezeit eine Kontroverse zwischen Befürwortern der Twortschen und Anhängern der d‘Herelleschen Auffassung, die mit empirischen  Fortschritten  der  Phagenforschung  immer  wieder  erneuert  werden  sollte.  „Die witzlose Polemik, die sich um das Twort-d‘Herellesche Phänomen drehte“, so Anderson rückblickend (<1969> 1972: 72), dauerte mehrere Jahrzehnte und wurde erst mit der molekulargenetischen Phagenforschung gegenstandslos. Die erzielten Ergebnisse waren nicht derart, daß sie eindeutig für oder gegen die belebte Natur des Phagen gesprochen hätten, so daß „vielen Beurteilungen über die Natur des Bakteriophagen Subjektives anhaftet“, wie Gildemeister und Herzberg Mitte der 20er Jahre feststellen mußten (1925: 403). Auch daß man die Bakteriophagenwirkung gewissermaßen mit den Augen verfolgen konnte - sie ließ sich als Hemmung der Trübung in Bouillonkulturen bzw. Aufhellung der schon getrübten Bouillon und als Bildung wachtumsfreier Stellen in Bakterienrasen auf Agarplatten ausmachen -, trug nicht zu einem allgemein akzeptierten Verständnis bei. „Weder die eine noch die andere Art des Sichtbarwerdens der Bakteriophagenwirkung ist restlos geeignet“, so Hoder Mitte der 20er Jahre, „zur Bakteriophagenbestimmung zu dienen“ (1925: 424). Jede Seite konnte experimentell gestützte Gründe für die Vertretung ihrer Position benennen, so daß es bei der Entscheidung für oder gegen die Lebewesen-Theorie „letzten Endes auf den Standpunkt des Autors ankommt, wie er seine Resultate auswertet“, wie von Gutfeld 1925 urteilt (1925: 427).  Genauso erfolgte die Bewertung der These, daß Bakteriophagen spontan in Reinkulturen auftreten könnten, „von den verschiedenen Autoren je nach ihrer Einstellung zu der Virustheorie d’Herelles...“ (Gildemeister/Herzberg  (1925:  406).  Doerr    (1922:  1538)  schildert  die  Lage  so:  „  ...zwischen  einem  nur  für Bakterien pathogenen, mikroskopisch nicht sichtbaren, nur innerhalb von lebenden Bakterienzellen vermehrungsfähigen Ultramikroben und einem nur für lebende (wachsende) Bakterien toxischen, unbelebten, kolloidal gelösten Stoff, der von den durch ihn beeinflußten Bakterien in ungeheurem Maßstäbe reproduziert wird, besteht de facto eine solche Summe von Beziehungen, daß sich daraus die Möglichkeit ergeben muß, viele Beobachtungen und Versuchsresultate ebensowohl in dem einen wie im anderen Sinne zu interpretieren.“

Dem Verständnis des Virus als eines Parasiten kam zugute, daß sich das filtrierbare Agens nur auf Kosten lebender Bakterien vermehrte. Weil sich die als parasitär behauptete Wirkung auf mehrere Bakterienarten ausdehnen konnte, war es naheliegend anzunehmen, daß dafür wahrscheinlich Anpassung notwendig sei. Nach Bruynoghe (1921) mußte die Virulenz der einzelnen Phagenstämme als verschieden und Passagen als Möglichkeit für die Steigerung der Virulenz angesehen werden. Zu einer gegebenen Zeit,  so Hoder (1932: 10),  werde nur eine Art oder Gruppe angegriffen. In diesem Falle sei die Intensität, mit der die einzelnen Individuen der Gruppe angegriffen würden, nicht für alle gleich.

Die Entstehung von keimfreien Stellen im Bakterienrasen, nachdem ein Tropfen Bakterienaufschwemmung, der eine geringe Virusmenge zugefügt worden ist, auf Agar gebracht wird, ließ sich als Kolonienbildung des Virus verstehen, zustandegekommen durch Phagenvermehrung. Man konnte davon ausgehen, daß sich der Phage hier auf Kosten der gleichzeitig mitüberimpften Bakterien entwickelt. Die Bildung der eigentümlichen Löcher, die aufkamen, wenn man entsprechend verdünnte, mit Bakterien versetzte Lysin-Lösungen auf der Oberfläche erstarrter Nährböden ausstrich (gleich „Kolonien“ der Bakteriophagen), stützten das Argument, daß sie sich nur dadurch bilden könnten, daß Keime an diesen Stellen liegen blieben, die dann durch Infektion der umgebenden Bakterien die Möglichkeit der Vermehrung fänden. Die Möglichkeit, daß die sterilen Flecke, statt Kolonien anzuzeigen, dadurch entstünden, daß sich an den betreffenden Stellen lebensschwache und deshalb nicht entwicklungsfähige Bakterien befun-
den hätten, sah d‘Herelle durch einen seiner Versuche als experimentell widerlegt an.[32]

Es ließ sich zeigen, daß sich bei einer serienweisen Fortzüchtung von Bakterienkulturen bestimmte Eigenschaften von zu verschiedenen Zeiten gewonnenen Phagen gegenüber bestimmten oder auch verschiedenen Bakterienstämmen erhalten, so wie sich über Generationsfolgen hinweg bestimmte Artmerkmale erhalten bzw. Eigenschaften vererbt werden. D‘Herelle und seine Anhänger sahen aufgrund ihrer Arbeiten eine Agarpassage bzw. Passage in vivo als etwas Analoges zu einer Generation von Exemplaren einer tierischen Art. In vitro wurde nur eine schnellere Generationsfolge angestrebt (durch Steigerung der Virulenz).

Es wurde darauf verwiesen, daß der Phage durch Chloroform und Glyzerin zerstört werden kann, durch Substanzen also, die besonders lebende Elemente anzugreifen vermögen (andere Forscher sprachen wiederum allen Viren Glyzerinresistenz zu; siehe Gildemeister 1939b: 103). Phagen erwiesen sich auch gegen Chinin als sehr wenig widerstandsfähig. Es ließ sich zeigen, daß neutrale Chininsalze in 1-prozentiger Konzentration der Lösung das bakterienauflösende Agens in einigen Stunden (in höherer, 3-prozentiger Konzentration sogar schon in 30 Minuten) unwirksam machen kann. Dies wurde als Beweis gewertet, daß das lytische Prinzip ein Mikroorganismus sein muß, da das Chinin wohl für Bakterien und Protozoen giftig ist, auf Diastasen und auf Toxine dagegen keinen schädigenden Einfluß ausübt (siehe Doerr 1922: 1537).

Es konnten Belege dafür ins Feld geführt werden, daß sich der Phage an gewisse Bedingungen „gewöhnen“ ließ, unter denen er ursprünglich nicht in der Lage gewesen war, seine lytische Wirkung zu entfalten. Beispielsweise war es Prausnitz gelungen, Phagen durch Gewöhnung gegen die neutralisierende Wirkung ihres Antiserums unempfindlich zu machen, das heißt, antiserumfeste „Lysine“ herzustellen (1923: 187). Es wurde von einer Resistenzsteigerung des Phagen  gegenüber  der  Wirkung  von  Antiseptika    bei  ihrer  Züchtung  in  Kulturen  berichtet (Prausnitz 1922). Janzen und Wolff  (1922) teilten mit, daß sich die von ihnen zu verschiedenen Zeiten gewonnenen Phagen an Antiseptika gewöhnen ließen (Erzielung von „Giftfestigkeit“). Asheshov gab bekannt, daß er erreicht habe, einen Phagen daran zu gewöhnen, seine Wirkung auch in sauerem Medium zu entfalten, wozu er ursprünglich nicht in der Lage gewesen sei (1925: 643 f.). Und bei geeigneten Züchtungsbedingungen konnte der Phage allmählich unempfänglich gemacht werden für bestimmte Einflüsse oder eine teilweise verlorengegangene (bakterienauflösende) Wirkung wiedererlangen. Solche Eigenschaften kannte man nur von belebten Wesen  (siehe von Gutfeld 1925: 426).

Beim Vergleich dieser Gründe für die Akzeptierung der d‘Herelleschen Position fällt auf, daß es solche sind, die bei aller Verschiedenheit in einem miteinander vergleichbar sind: Sie sind mit dem Verständnis des Phagen als eines Lebewesens vereinbar, mit dem Verständnis allerdings, das man seinerzeit vom Leben hatte. „Es ist unmöglich“, so von Gutfeld (ebenda), „den Begriff ,Leben‘ zu charakterisieren. Wir bezeichnen ein Etwas als lebend, wenn es diejenigen Eigenschaften aufweist, die nach unserer Erfahrung solchen Wesen zukommt, die wir als lebendig anzusehen pflegen. Wenn diese groß genug sind, hat es keine Schwierigkeiten. Die Möglichkeit  besteht  aber  auch  für  Wesen  unterhalb  der  Sichtbarkeitsgrenze.  Allerdings  genügt hierzu nicht die Beobachtung allein ... Man muß vielmehr die Eigenschaften des betreffenden Wesens untersuchen.“ Den „Erfahrungen“, die man gemeinhin zu Eigenschaften von Lebensformen hatte,  kam der Nachweis der Adaptionsfähigkeit der Phagen an gewisse Einflußfaktoren  (Assimilation,  „Gewöhnung“)  entgegen,  ebenso  die  Feststellung  besonderer  Merkmale unabhängig von der Bakterienart, auf deren Kosten sich die Phagen vermehren bzw. der Beibehaltung spezifischer Eigenschaften von Phagen gegenüber verschiedenen Stämmen, die an Vererbbarkeit denken ließ.

Aber es gab auch plausible Gründe für die Annahme, daß es sich bei dem Phänomen  um  ein bakterielles Zerfallsprodukt handele. Dafür sprach insbesondere die Abhängigkeit des Bakteriophagen vom Stoffwechsel der Bakterien, die sich, wie etliche Forscher meinten, kaum mit der Existenz  einer Mikrobe vereinbaren ließ (siehe Doerr 1922: 1489 f. und 1537 f.; 1923: 909 ff.).[33]

Bordet, der das Phänomen mit dem Ausdruck „transmissible Autolyse“ versehen hatte, und Ciuca (1920; 1921: 748 und 754; siehe auch Bordet 1924: 969; von Gutfeld 1925: 428) hatten eine geringe Lysinmenge mit einer großen Bazillenmenge zusammengebracht und festgestellt, daß sich das Lysin unter diesen Bedingungen nicht regenerierte. Sie werteten dies als Beleg dafür, daß das übertragbare lytische Prinzip nicht organisiert, also kein Lebewesen ist, sondern nur ein lebloses Ferment, da trotz bester Ernährung keine Vermehrung eingetreten war. Es liege, so Bordet und Ciuca (ebenda), nichts anderes als eine Bakterienvariation vor - das Produkt einer Stoffwechselstörung der Bakterien. Diese Sichtweise wurde auch durch Verweis auf Mitteilungen darüber plausibel gemacht, daß eine lytische Wirkung nach Schädigung von Bakterien (beispielsweise von Colibazillen) habe erzielt werden können.

Es war auch bekannt, daß sich gewisse inaktivierte Fermente aktivieren lassen. Diese Einsicht ließ sich durchaus darauf beziehen, daß in den Kulturen, die mit erhitzten Phagen angesetzt waren, nach anfangs negativem Befund später doch wieder Lysinbildung auftrat (siehe Otto/Munter  1928:  400).    Beobachtungen  zur  Entstehung  derartiger  Fermente  aus  Bakterieneiweiß lieferten nach Otto plausible Gründe für die Annahme, daß die bakterienauflösende Erscheinung aus Bakterien allein hervorgehe (1923: 257).

Berichtet wurde auch von großer Widerstandsfähigkeit der „Lysine“ gegenüber Lebewesen abtötenden höheren Temperaturen (hingegen verloren d‘Herelle zufolge die bakterienauflösenden Stoffe bei einer einstündigen Erhitzung auf 60° Celsius ihre biologische Wirksamkeit) sowie davon, daß eine Ätherbehandlung, die ein belebtes Wesen nicht überstanden hätte, das bakterienauflösende Prinzip nicht habe zerstören können (siehe von Gutfeld 1925: 427 f.). Die Widerstandsfähigkeit  gegen  chemische  Desinfektionsmittel  sprach  ebenso  gegen  die  Position d‘Herelles. Kabéshima schloß aus der Unwirksamkeit von Chloroform und Fluornatrium auf den Bakteriophagen, daß dieser kein belebtes Wesen, sondern ein Ferment sein müsse (1920: 471).

Wenn sich, wie d‘Herelle annahm, Phagen in einem außerzellulären Medium vermehren könnten, so hätte man bei ihnen, wie eingewandt wurde, Atmungsprozesse feststellen müssen. Bronfenbrenner (1926) und andere Experimentatoren hatten sich auch um deren Nachweis bemüht, wofür  ein  speziell  konstruierter  Mikrorespirator  eingesetzt  worden  war,  der  sogar  äußerst schwache Mengen an Kohlensäure zu registrieren gestattete. Aber selbst nach mehrtägigem Einsatz wurden im Filtrat keinerlei Spuren von CO ermittelt. Dieser Mißerfolg ließ sich allerdings seinerzeit noch mit Verweis auf Unzulänglichkeiten in der Gestaltung experimentiertechnischer Bedingungen erklären, so daß die Versuche, so Seiffert (1938: 7), in ihren Ergebnissen noch nicht als endgültig angesehen werden müßten. Es sei hinzugefügt, daß Breinl und Glowazky  in  durch  Zentrifugieren  gereinigtem  Vaccinevirus  eine  Atmung  nachgewiesen  zu  haben glaubten, woraus sie folgerten, daß der Erreger der Vaccine ein Lebewesen sein müsse (1935: 1149). Wenngleich diese Befunde anderen Forschern nicht sicher zu sein schienen (Seiffert 1938: 7),  nährten sie doch den Gedanken, daß eines Tages auch bei Phagen Atmungsvorgänge nachgewiesen werden könnten.

Werthemann fand, daß „intravenös injiziertes Lysin bei Meerschweinchen, Kaninchen und Fröschen aus der Zirkulation verschwindet nach den für kollodial gelöste Eiweißkörper ermittelten Gesetzen, aber nicht plötzlich ,kritisch‘, wie sonst Ultramikroben“ (1922: 255).