初期のウイルス研究の歴史について

(ドイツ語)3/6




ZUR ERFORSCHUNG DES VIRUS ALS EINES TUMORERZEUGENDEN AGENS

Die Auseinandersetzungen, die sich um das filtrierbare Virus sowie um das Phänomen der Bakterienauflösung drehten, schlugen sich in einer gewissen Hinsicht auch in der Krebsforschung nieder, nachdem eine Reihe von Forschern mitgeteilt hatte, daß sich bösartige Geschwülste von Hühnern, Ratten oder anderen Tieren mit zellfreier Substanz aus Tumormaterial, gewonnen mittels Filtrierung und anderer Verfahren, auf gesunde Tierkörper übertragen ließen: Daß die Impfung mit Filtraten aus Geschwulstsaft wiederum Geschwülste hervorrief - auch mit im luftleeren Raum über Schwefelsäure getrocknetem und pulverisiertem Tumorgewebe gelang die Erzeugung des Tumors, ebenso, wenn das Tumormaterial viele Wochen in Glyzerin aufbewahrt wurde -, legte es nahe, an Viren als Ursache für Tumorbildung zu denken. Allerdings gab es ganz unterschiedliche Auffassungen zur Natur des „Krebsvirus“. Eine Reihe von Forschern sah in den angeblich zellfreien Tumorfiltraten ein endogen entstandenes und sich in der Folge autokatalytisch und intrazellulär vermehrendes Element, andere Forscher sahen in dem Agens einen  exogenen  Erreger.  Ein  Konzept,  das  die  Entstehung  von  Geschwülsten  auf  virusartige Agenzien zurückführt, verpflichtete nicht dazu, diesen Prozeß als exogene Infektion aufzufassen. Auch Forscher, die das Konzept eines exogenen Erregers zellfrei übertragbarer Sarkome oder anderer  Krebswucherungen ablehnten und stattdessen an eine Substanz dachten, die im Wirtsorganismus entsteht, glaubten an die Virusnatur krebshervorrufender Agenzien, wenngleich man die Frage, wie sich denn das Tumorvirus in einem Organismus bildet, noch nicht beantworten konnte (siehe u.a. Doerr 1938; Graffi 1940).[34]  Die Zelle galt ihnen als der Ursprung des Virus, das aber durch zellfreie Filtrate übertragbar sei. Die Majorität der Krebsforscher freilich lehnte sowohl die eine wie die andere Variante des Virus-Konzeptes ab, und zwar in der Überzeugung, daß alle Erscheinungen der Krebswucherung auf die Verbreitung von Krebszellen zurückgingen, daß das Krebsproblem ein Regulationsproblem zellulärer Vorgänge im Organismus sei.[35]

In einem gewissen Sinne wurde mit der Suche nach filtrierbaren Agenzien an jene Richtung in der Krebsforschung angeknüpft, in der die Bildung von malignen Tumoren als eine Infektionskrankheit betrachtet wurde, hervorgerufen von Parasiten, die es aufzuklären galt, verbunden mit der Vorstellung, daß Therapien entwickelt werden könnten, die sich gegen einen Erreger statt gegen die Geschwulstzellen wenden. Daß ein belebtes Agens die Krebskrankheit hervorrufen würde, wurde vor allem von Klinikern und Ärzten angenommen. Erwogen wurde, ob es bestimmte Würmer (Nematoden, siehe Fibiger 1921), Blastomyzeten (Roncali 1914; Pentimalli 1916)[36], Kakerlakenlarven, Milben (Saul; Hinweis aus: Teutschlaender 1927: 231; ohne Quellenangabe), Protozoen (van Calcar; Hinweis aus: Teutschlaender 1927: 225; ohne Quellenangabe), bestimmte Bakterienstämme (Blumenthal 1918; Reichert 1925) oder andere Organismen sein könnten, die Geschwülste hervorrufen. Und seit es eine Bakteriologie gab, wurde immer wieder versucht, spezifische Krebserreger nach Maßgabe der Kochschen Postulate nachzuweisen. Die Mitteilungen über angebliche Krebs- oder Sarkomerreger wurden mitunter mit dem Anspruch verknüpft,  den alleinigen „Universalerreger” entdeckt zu haben.[37]

Die Idee, „zellfreien Krebssaft zu injizieren”, um der Geschwulstbildung auf die Spur zu kommen, wurde bereits 1902 von Lubarsch ausgesprochen (Hinweis aus: Teutschlaender 1927: 242; ohne Quellenangabe). Nach Lewin (1925: 456 f.) ist wohl Borrel (1909) der erste gewesen, der die ätiologische Bedeutung eines nicht sichtbaren Virus für die Frage der Geschwulstentstehung erörtert hat. Allerdings war er auf experimentellem Wege zu keinem positiven Resultat gekommen. Als frühesten Beweis der Virusnatur von Krebserkrankungen geben Wunderlich und Uckert (1984: 7) die Ellermann und Bang im Jahre 1908 gelungene zellfreie Übertragung einer Hühnerleukose an (siehe auch Ellermann 1918).[38]

Als besonders gewichtig für die weitere Entwicklung dieser Forschungsrichtung erwiesen sich Beobachtungen, die Rous im Jahre 1909  begonnen hatte. Er teilte mit, daß er bei seinen Versuchen darauf gestoßen sei, daß sich mit Filtraten das Hühnersarkom übertragen lasse (1911a; vollständiger Text wiedergegeben in: Lechevalier/Solotorovsky 1965: 198 f.). In seinen ersten Experimenten war noch gewöhnliches Filterpapier verwandt worden, und zwar in der Annahme, daß die dünne Papierschicht, die die Passage von roten Blutzellen und Lymphozyten gestattete, den Tumor zurückhalten würde, so daß sich ein harmloses Filtrat ergeben müßte, zumal andere Forscher, die Mäuse- und Hundetumoren beobachtet hatten, meinten, daß die angefallenen Filtrate steril gewesen seien. Aber Rous stellte fest, daß es zu einem Wachstum von Tumoren kam, wenn man von ihm für seine Versuche verwendeten Hühnern etwas vom wässrigen Filtrat einspritzte, wofür schon wenige Tropfen genügten. Auch als er nach einer Zentrifugation der Tumoraufschwemmung die über dem Bodensatz stehende klare Flüssigkeit zur Impfung verwandte, gelangte er zu diesem Ergebnis, das ihn zu weiteren Versuchen veranlaßte: Rous zerrieb der Brust von Hühnern entnommenes Tumormaterial mit Sand, versetzte es mit Ringerlösung und schüttelte es eine Zeitlang auf maschinellem Wege (20 Minuten). Der Sand und die Tumorstückchen wurden dann im Verlaufe von 5 Minuten (mit einer Umdrehungsgeschwindigkeit von 2800 je Minute) auszentrifugiert. Der überstehenden Flüssigkeit wurde dann etwas mit der Pipette entnommen, das wiederum (bei 3000 Umdrehungen pro Minute) eine Viertelstunde lang zentrifugiert wurde. Den oberen Schichten wurde nun ausreichend  Flüssigkeit für die Impfung entnommen und in eine der  Hühnerbrustseiten eingespritzt (je 0,2 cm3), während in die andere Seite ein kleines Stück Tumorgewebe injiziert wurde. Mit den Tumorstückchen gelangte Rous bei allen (92) Hühnern zu positiven Ergebnissen, während bei einigen Exemplaren (7) auch mit dem Filtrat eine Sarkomentwicklung erzielt werden konnte. In einem weiteren Experiment  (siehe  Rous  1911b)  wurde  die  Flüssigkeit  nach  der  Zentrifugation  noch  durch Berkefeldfilter geleitet. 9 Hühnern wurden 0,2 cm3 des Filtrats in jede Brustseite, 22 Hühnern nur in eine Seite eingespritzt, während der anderen Seite ein wenig Tumorgewebe zugeführt wurde. Bei einem der 9 Hühner entwickelte sich auf jeder Seite allmählich ein Sarkom. Und bei 5 von den 22 Hühnern, denen sowohl Filtrat als auch Tumorstückchen injiziert worden waren, zeigte sich ebenso eine Sarkomentwicklung auf jeder Brustseite, wobei sich der Prozeß an der mit Tumorgewebe injizierten Stelle  besonders rasch vollzog.

Rous betrachtete die Ergebnisse seiner Versuche, die von der wissenschaftlichen Öffentlichkeit längere Zeit kaum beachtet wurden (siehe Studer/Chubin 1980; Hinweis aus: Fujimura 1996: 32),  als Beleg dafür, daß sich nach Filtrierung einer Tumoremulsion und der Impfung des Filtrats in die Brustmuskulatur eines gesunden Huhnes an demselben einTumor von gleichem Typ erzeugen läßt. Rous konnte auf einige Charakteristika dieses Agens verweisen, die dem Verständnis entgegenkamen, daß es sich um eine lebende, aber extrem kleine Mikrobe handele: Dafür sprach u.a., daß die Sättigung mit Chloroform die Virulenz des Materials aufhob. Das Agens wurde überdies schon bei einer Temperatur von 55° Celsius in verhältnismäßig kurzer Zeit (15 Minuten) zerstört. Über die Natur des zellfreien Filtrats eines Hühnersarkoms, mit dem Sarkome an anderen Hühnern erzeugt werden konnten, war sich Rous allerdings noch nicht schlüssig. Ein Beweis für die Belebtheit des Agens lag nicht vor, dazu hätte man zeigen müssen, daß es sich außerhalb des Körpers züchten läßt. Rous sah aber auch keine triftigen Gründe für die Vermutung, daß das natürliche Auftreten von Hühnertumoren einer exogenen Infektion geschuldet sei.

Zu den Forschern, die sich, wenngleich das Kultivierungsproblem noch der Lösung harrte, zugute hielten, bei ihren Experimenten auf ein Krebsvirus gestoßen zu sein, gehörte u.a. Keysser, der sogar für sich in Anspruch nahm, im Ergebnis von Versuchen mit Mäusetumoren früher und unabhängig von Rous ermittelt zu haben, daß nicht Karzinomzellen, sondern ein filtrierbares Virus das geschwulstbedingende Agens sei (1913: 1665). Keysser war von der Frage ausgegangen, ob sich „experimentell an Mäusen infiltrierend wachsende Geschwülste...erzielen (lassen), die den menschlichen Tumoren als gleichwertig anzusehen sind“ (ebenda,1664). Um ein infiltratives Wachstum der Geschwülste zu erreichen, hielt er es jedoch für geboten, Impfungen in Organe vorzunehmen, statt die „bisher ausgeübte subkutane Uebertragung durch Transplantation von Gewebsstücken oder Injektion unverdünnten, zerstampften Tumorbreies“ fortzuführen.  Infolge  dieser  Methode  erschienen  die  subkutanen  Geschwülste  gleichsam  als Fremdkörper in der Maus, denen keine Ähnlichkeit mit menschlichen Tumoren zukomme. Als für seine Versuche besonders geeignetes Organ betrachtete er das Auge, der Vorstellung gehorchend, „daß es möglicherweise vor allem Schutzstoffe des Blutes und der Säfte sind, die ein Angehen der Tumoren verhindern. Nun haben wir im Auge einen für sich abgeschlossenen Organismus, von dem wir wissen, daß sowohl in den Flüssigkeiten des Glaskörpers wie der Vorderkammer keine oder nur geringe Mengen von Schutzstoffen enthalten sind, daß die im Auge enthaltenen Eiweißstoffe zu den niederen und einfachen Eiweißarten gehören, denen eine Spezifität nicht zukommt“ (ebenda). Um ein Auge (oder ein anderes Organ) im angezeigten Sinne zu verwenden, bedurfte es nach seiner Auffassung einer Methode, mit der den beabsichtigten experimentellen Effekt überlagernde grobe Verletzungen der Versuchstiere vermieden werden konnten, wie sie bei der Transplantation von Gewebestücken oder Injektion mit unverdünntem Geschwulstbrei hingenommen werden mußten. Er führte deshalb die Impfung mit möglichst dünnen Aufschwemmungen aus subkutanen Mäusegeschwülsten durch, die durch haarfeine Kanülen durchgängig waren. Seinem Bericht zufolge, gelang  bereits mit einer Impfung von einem bis zwei Tropfen dieser dünnen Emulsion in den Organen die Bildung von Tumoren zu bewirken. Derart geimpfte Tumoren wuchsen schon nach 8 bis 14 Tagen und erreichten in 4 bis 6 Wochen Haselnuß- bis Walnußgröße. Sämtliche Organe wurden von der Geschwulst vollkommen durchsetzt. Die Tumoren gingen in demselben Prozentsatz an, wie die subkutanen Geschwülste nach Impfung mit unverdünntem Tumorbrei, während es bei subkutaner Impfung mit diesen dünnen Emulsionen nie oder in ganz geringem Prozentsatz  zu einer Ausbildung subkutaner Geschwülste kam.

Im weiteren ging Keysser dazu über, Übertragungsversuche von Mäusespontantumoren wie von menschlichen Tumoren auf Ratten anzustellen. Bei Impfungen in das Auge ließen sich makroskopisch sichtbare Tumoren hervorrufen. Sie konnten auch bei Impfungen in die Milz bei Ratten erzielt werden. In einem Falle gelang dies auch bei Impfung in die Hoden. In diesen Neubildungen fanden sich Zellkomplexe, die der Ausgangsgeschwulst völlig gleichgeartete Zellen aufwiesen. Das Auftreten nekrotischer (abgestorbener) Massen mit kleinzelliger Infiltration betrachtete Keysser auch als kennzeichnend für die Entwicklung der Organtumoren bei Mäusen, die von Mäusen stammen. „ ... wir haben demnach bei den zur Entwicklung gelangten artfremden Tumoren mikroskopisch das gleiche Bild, das bei Organimpfung mit Mäusetumoren sich bei Mäusen bietet“ (ebenda, 1665). Die Weiterimpfung der an Ratten erzielten, von Mäusen und Menschen stammenden Tumoren glückte allerdings nur in ein bis zwei Passagen. Und die Impfungen auf artfremde Tiere gingen nur in 5 % an. Keysser erklärte sich das so, daß beim Angehen der heterologen Tumoren mit noch unbekannten disponierenden Momenten gerechnet werden müsse, die man vorläufig nur dadurch ausschließen könne, daß große Reihen von Impfungen angelegt würden.

Da die Organimpfung mit so dünnen und äußerst geringen Geschwulstsaftmengen dazu verhalf, eine Tumorentwicklung in Gang zu setzen, hielt es Keysser für naheliegend anzunehmen, daß die Krebszellen womöglich für die Weiterimpfung gar nicht von Bedeutung seien. Um dies zu prüfen, ging er zu Versuchen mit Impfmaterial über, das er mittels Zentrifugation zellfrei gemacht haben wollte. Er impfte mehrmals Organe mit Aszites von Mäusen (mit einer Flüssigkeit, die sich bei Bauchwassersucht in der freien Bauchhöhle ansammelt), der sich bei diesen als Folge eines großen Lebertumors gebildet hatte. Es gelang, mit der aus verflüssigten Tumoren auszentrifugierten klaren Substanz bei Organen Tumorbildung zu erzielen. Diese Befunde sprachen nach seiner Auffassung dafür, daß sich in einem Material, in dem makroskopisch keine Krebszellen vorhanden sind und mit dem sich erfolgreiche Impfungen ausführen lassen, Virus vorhanden sein muß, das unabhängig von Krebszellen in der Lage ist, neue Geschwülste zu erzeugen. Um diese Annahme zu erhärten, dehnte er die Impfversuche in bestimmter Richtung aus. Er stellte Filtrate von Mäusetumoren her (mittels Porzellanfilter) und impfte damit die Tiere in Organe. Es gelang ihm, im Auge einer Ratte einen makroskopisch sichtbaren Tumor zu erzielen und nachzuweisen, daß sich aus dem Filtrat ein Tumor entwickelt hatte, der dem Ausgangstumor, aus dem das Filtrat hergestellt worden war, pathologisch-anatomisch entsprach. Dieser Befund entsprach nach seiner Meinung den von Rous vorgenommenen Untersuchungen über die Filtrierbarkeit eines Hühnersarkoms, die ergeben hatten, daß sich mit einem Filtrat Sarkome von der gleichen Zellstruktur bei Hühnern erzielen und mit diesem Filtrat ständig neue Passagen weiterzüchten lassen.  

Daß sich ein Mäusekarzinom durch filtriertes Ausgangsmaterial übertragen läßt, wurde etwas später auch von Henke und Schwarz (1914) mitgeteilt. Sie verwendeten dafür einen sehr virulenten Karzinomstamm. Neben etlichen fehlgeschlagenen Versuchen konnten sie einmal bei 8 geimpften Mäusen in 3 Fällen ein positives Resultat erzielen. Diese Tiere waren mit einem wie folgt hergestellten Filtrat geimpft worden: Nach Zerreibung zweier lebenden Mäusen entnommener Tumoren mit Quarzsand wurde mit 6 cm3  Kochsalzlösung eine weitgehend homogene Emulsion aufgeschwemmt und längere Zeit zentrifugiert. Die über dem Bodensatz stehende, schon ziemlich klare Flüssigkeit wurde dann zur Erzielung von Zellfreiheit filtriert. Zellen waren danach mikroskopisch auch nicht mehr auszumachen. Henke und Schwarz sahen sich zu der Vermutung veranlaßt, daß im Filtrat Erreger gewesen sein könnten, die in dem neuen Tierkörper  den  Tumor  reproduziert  hätten.  Die  neu  entstandenen  Tumoren  hatten  sich  an  der Impfstelle selbst gebildet. Fujinami und Inamoto (1914) beschrieben zur gleichen Zeit ein Myxosarkom, mit dessen Filtrat durch Verimpfung der gleiche Tumor gebildet werden konnte. Auf dieselbe Weise ließen sich dann auch andere Sarkome auf Hühner überimpfen. Morris (1917) hatte bei etwa 3000 Ratten und Mäusen durch Filtrate von Tumoren neue Geschwülste erzeugen können, Geschwülste, die sich histologisch allerdings wesentlich vom Ausgangstumor unterschieden. Bei einigen dieser Tiere entwickelten sich Drüsenkarzinome, die teilweise eine schleimige Degeneration zeigten. Auch Morris nahm an, daß ein invisibles Virus die Ursache der Tumorentwicklung sei. Eine ähnliche Auffassung wurde von Teutschlaender (1920) im Hinblick auf Hühnersarkome vertreten (später rückte er davon ab - siehe Teutschlaender 1925). Seinen Angaben zufolge ließen sich mit filtriertem Tumorsaft sowie mit getrocknetem Tumorpulver und mit wochenlang in Glyzerin aufbewahrten Tumorzellen positive Tumorüberimpfungen erzielen.
 
Die Vorstellung, daß Viren Krebs verursachen könnten, war auch aus einer anderen Richtung der Krebsforschung hervorgegangen, und zwar aus der Transplantationsbiologie, die im schon im frühen 20.Jahrhundert an Gewicht gewonnen hatte, eine Richtung, in der es um die Beantwortung der Frage ging, ob Geschwülste von einem Tier in einem anderen Tier wiederum Geschwülste erzeugen konnten oder nicht.  Die Forscher waren an der Krebsanfälligkeit und der Entwicklung von spezifischen Krebsarten interessiert und dachten in diesem Zusammenhang an Vererbbarkeit und Transmission, so daß es galt, genetische Faktoren aufzudecken, die in der Tumorätiologie involviert sein könnten. Die Frage war u.a. deshalb entstanden, weil es Ergebnisse von Versuchen gab, denenzufolge Geschwülste von Ratten und Mäusen nur auf Tiere derselben Art verpflanzt werden konnten. Es galt also zu prüfen, ob die Neigung zu Tumoren ein Problem der genetischen Steuerung ist oder nicht. Hier war es naheliegend, in die Untersuchungen Versuchstiere mit einer weitgehend gleichen genetischen Komposition einzubeziehen. Um dies zu ermöglichen, wurden in den 20er Jahren Inzuchtlinien von Mäusen (später auch Ratten und Meerschweinchen) durch Geschwisterpaarung über mehrere Generationen geschaffen. Genetisch bedeutet Inzucht die Vermehrung  der homozygoten (reinerbigen) und die Verminderung der heterozygoten (mischerbigen) Genpaare. Die Populationen mit stark homozygoten Individuen hatten auch die Neigung, dieselben Arten und Strukturen von Geschwülsten zu entwickeln. Es wurden zwei Arten geschaffen, eine mit starker, und eine mit schwacher Neigung zur Bildung von Brusttumoren. Individuen der ersten wurden dann mit Individuen der zweiten Art gekreuzt. Nach den Kreuzungsexperimenten erwies sich jedoch, daß nur Nachkommen von Muttertieren aus der an Brusttumoren erkrankten Gruppe wiederum Geschwülste entwickelten. Wurden  hingegen  männliche  Tiere  dieser  Gruppe  in  den  Versuch  einbezogen,  blieben  die Nachkommen frei von Tumoren. Dieses Ergebnis widersprach der These von der genetischen Vererbbarkeit der Geschwülste: Das Geschlecht konnte bei einer genetisch gesteuerten Tumorbildung keine Rolle spielen, Männchen und Weibchen hatten ja den gleichen Genotyp. Man kam auf die Idee, daß der Krebs durch ein Virus verursacht werde, das beim Säugen von den Müttern auf die Nachkommen weitergegeben werde (siehe Bittner 1936 und 1942).

Mitte der 20er Jahre schienen nun endlich die Schwierigkeiten, vor deren Bewältigung die Existenz krebsverursachender Viren nur vermutet werden durfte - Schwierigkeiten, die bei der Sichtbarmachung geschwulsterregender Agenzien sowie bei den Versuchen aufgekommen waren, dieselben zu züchten -, beseitigt worden zu sein. Aus Großbritannien kam die aufsehenerregende, in der britischen Presse als Wendepunkt in der Krebsforschung gefeierte Mitteilung an die Öffentlichkeit [39], daß es gelungen sei, etwas, das Tumor verursache, im ultravioletten Licht zu fotografieren. Barnard (1925), der die gerätetechnischen Bedingungen dafür entwikkelt hatte [40], glaubte, es von anderen ähnlichen Körpern, wie sie sich in den meisten organischen Flüssigkeiten finden, unterscheiden zu können, nachdem Versuche gescheitert waren, es mittels verschiedener Färbetechniken sichtbar zu machen. Es ließen sich wohl mit der Färbung Körnchen auf hauchdünnen Gewebeschichten ausmachen, die aber nach Auffassung einer Reihe von Forschern nicht die  gesuchten Viren sein konnten.   „The films”, so Gye, „showed   innumerable pink granules on the border-line of resolution. Such experiences as these have led me to the opinion that such granules are not the virus. The visual discovery of such small organisms is obviously a special problem in optics” (Gye 1925: 114).

Sensationelle Bedeutung kam den Mitteilungen auch deshalb zu, weil sie erfolgreiche Kultivierungsversuche zur Kenntnis brachten. Gye (1925) berichtete, daß es nunmehr möglich sei, das Agens der zuerst von Rous beschriebenen Hühnersarkome (unter Zusatz von Kaninchenserum) in vitro züchten, daß sich der filtrierbare Erreger der Krebskrankheit in bestimmt zusammengesetzten Nährböden von Kultur zu Kultur weiter fortpflanze. Er war von der Rousschen Entdekkung ausgegangen, daß Filtrate und Auszüge aus pulverisierter Hühnergeschwulst, die keine lebenden Zellen mehr enthalten sollten, gesunden Hühnern eingespritzt, sarkomähnliche Geschwülste erzeugen. Gye gelang es, das Agens aus den Hühnergeschwülsten zu enormer Vermehrung  zu  bringen,  wenn  er  Stückchen  der  Geschwulst  in  Bouillon  brachte,  der  er Kaliumchlorid,  ferner  Kaninchenserum  und  häufig  Zucker  zugesetzt  hatte.  Einer  solchen Bouillon wurde ein Fragment von einem 12 bis 16 Tage alten Hühnerembryo zugesetzt. Das Ganze wurde anaerob bei 35° und 36° Celsius gehalten. In diese Mischung wurde ein Tropfen der ersten Kultur gebracht. Brachte man eine kleine Menge einer solchen Subkultur immer wieder auf neuen Nährboden, so konnte trotz schließlicher Verdünnung des Ausgangsmaterials bis auf ein Billionstel durch Impfung eines gesunden Huhnes mit der gewonnenen Flüssigkeit immer wieder die Geschwulst erzeugt werden. In einem anderen Versuch brachte Gye Stückchen von  verschiedenen  Mäuse-  und  Rattentumoren  in  die  oben  beschriebene  Kulturflüssigkeit, stellte Subkulturen her, die anaerob gehalten wurden, und impfte damit Hühner. Die Ergebnisse waren negativ. Darauf mischte er die Kultur mit Kiesegur und Filtrat aus Hühnersarkom, das mit Chloroform behandelt worden war. Mit dieser Mischung konnte er bei Hühnern Tumoren produzieren, die den gleichen Bau wie die Rousschen Tumoren zeigten. Daraus zog er den Schluß, daß er aus den Mäuse- und Rattenkarzinomen und Sarkomen dasselbe Virus zur Vermehrung gebracht habe, das der Erreger der Hühnergeschwulst sei.

Gye war darauf gestoßen, daß das untersuchte Agens nach einer Anzahl von Kulturpassagen seine Wirksamkeit verlor, das heißt, daß die Tumorimpfausbeute immer geringer wurde. Daß es gelang, typische Roussarkome zu erzeugen, ließ sich deshalb zunächst ebensogut auf die Übertragung einer chemischen Substanz wie eines filtrierbaren lebenden Agens zurückführen.

Eher für die erstgenannte Variante schienen die Resultate dosierter Filtratimpfungen zu sprechen, die zeigten, daß die Wirksamkeit der Filtrate mit deren Menge zu- bzw. abnimmt. Bei Impfung mit 1 cm3  reinen Filtrats entstand schon nach 2 Wochen ein fühlbarer Tumor, während bei Impfung von 0,5 cm3  der Tumor erst nach 3 und bei Impfung von 0,25 cm3  nach 4 Wochen ungefähr dieselbe Größe aufwies. Bei noch geringerer Menge blieb die Tumorbildung aus. Hingegen sprach es für ein belebtes Agens, daß die Virulenz der „Primärkulturen”, die man bei den Versuchen erhalten hatte, den Tumor zunächst in kaliumchloridhaltiger Bouillon zu züchten, bereits nach 48 Stunden, bei Zusatz von Kaninchenserum oder unter anaeroben Bedingungen erst nach einer Woche, also langsamer als bei Fehlen von Serum oder Vorhandensein von Sauerstoff verlorenging. Gye kam nun zur Erklärung der abnehmenden Wirksamkeit des Materials auf den Gedanken, daß diese Erscheinung nicht auf das Absterben des Virus, sondern auf das Verschwinden  einer  in  den  Primärkulturen  ursprünglich  enthaltenen,  aus  den  Tumorzellen stammenden chemischen Substanz zurückführbar sei, von deren Vorhandensein die Infizierbarkeit gesunder Zellen mit dem Virus bei der Impfung abhänge (Gye 1925: 116). Es seien bestimmte  im  Tumorgewebe  enthaltene  chemische  Substanzen  zur  Virulenzerhaltung  des filtrierbaren Erregers nötig. Weder steril gemachtes Filtrat allein noch Virus allein sei imstande, Tumoren zu erzeugen. „Neither of these factors operating alone will cause the formation of a sarcoma” (ebenda, 113). Die Hühnertumoren würden wohl durch ein belebtes, vermehrungsfähiges Virus übertragen, doch müsse der Widerstand der Gewebe erst durch einen aus den Tumoren  extrahierbaren  chemischen  Faktor  gebrochen  werden,  der  jedoch  bei  wiederholten Fortzüchtungen zugrundegehe, weil er sich nicht so wie die Viren vermehre.

Um das Agens zu regenieren, mußte es deshalb – im Einklang mit dieser These – darum gehen, den fraglichen Stoff der Kultur wieder neu zuzusetzen. So wurde frisches Tumorfiltrat, in welchem durch Chloroformzugabe die Erreger abgetötet worden waren, mit solchen unwirksam gewordenen Kulturen gemischt, und diese Mischung fortgezüchteter Erreger und wirksamer, aber abgetöteter Extraktsubstanz ergaben wieder volle Impfausbeute. Die Subkulturen, die das fragliche darin zur Vermehrung gebrachte Virus enthielten, waren an und für sich unwirksam, das heißt, sie erzeugten, Hühnern eingespritzt, keinen Tumor. Wirksam wurden sie erst, wenn ihnen außer Kieselgur noch das mit Chloroform vorbehandelte Filtrat zugesetzt wurde, nachdem das Chloroform wieder ausgetrieben war. Bei Ratten- und Mäusetumoren gelangen die geschilderten Versuche hingegen nicht. Gye vermutete, daß die wirksame chemische Substanz in ihnen offenbar in zu geringen Mengen enthalten sei. Mit Mischungen von kultiviertem Virus von Ratten- und Mäusetumoren und dem wirksamen chemischen Faktor von Hühnertumoren konnte er jedoch bei Hühnern Tumoren vom Typus der Hühnersarkome hervorrufen. „Das läßt erkennen”, wie Lehmann (1926: 226) folgerte, „daß das gleiche Virus in allen übrigen malignen Tumoren vorhanden, die wirksame chemische Substanz jedoch spezifisch für jede Tierart und für jede Tumorart sein muß.” Mit der Einführung eines solchen art- und gewebsspezifischen Faktors ließ sich berücksichtigen, daß immer nur die Tierart und das Gewebe, von der der Geschwulstextrakt stammte, mit dem Agens infizierbar gemacht werden konnte (anderenfalls hätte  man  für  jede  Spezies  wenigstens  eine  Gruppe  von  Viren  und  für  jedes  Gewebe  einen speziellen Virus anzunehmen; siehe Gye 1925: 110).

Auf einer Krebskonferenz in Düsseldorf im September 1927 wurde von Blumenthal et al. mitgeteilt, daß es ihnen in mehreren Fällen gelungen sei, „mit Injektion von Milzbrei von Tumorratten, in denen keine Metastasen nachgewiesen werden konnten, bei anderen gesunden Ratten Tumoren zu erzeugen, die anscheinend von den eingespritzten Tumoren in ihrer Histologie abwichen. Es wurde angenommen, daß in diesen Versuchen nicht eine übertragene Krebszelle die Ursache des neu gebildeten Tumors sein könne, vielmehr glaubten wir, daß ein Krebsagens mit dem Milzbrei in diesen Fällen übertragen wurde” (Blumenthal et al. 1927: 229; siehe auch Blumenthal 1925: 1306). Es gab auch Mitteilungen darüber, daß aus malignen menschlichen Tumoren und aus der bösartigen Geschwulst des Hundes eine Anzahl von Bakterienstämmen isoliert werden konnten (siehe Blumenthal 1925), von denen einige die Fähigkeit besitzen, bei Ratten bösartige Tumoren zu erzeugen. Reichert (1925: 449) sah in dem Umstand, daß es sich dabei um bakteriologisch gesehen sehr differente Keime zur Tumorbildung handelt, den Ausdruck dafür, „daß den Bakterien ein aus der Geschwulst stammendes  ultravisibles Virus anhaftet,  welches  als  der  eigentliche  Geschwulsterreger  zu  gelten  hat.” [41]  Anfang  der  30er  Jahre berichtete  Shope  (1932,  1933),  daß  auch  das  Kaninchenpapillom  (eine  Zottengeschwulst) durch  zellfrei  filtrierten  Geschwulstsaft  erfolgreich  übertragen  werden  könne.  1936  konnte Bittner das Mammakarzinom der Maus auf ein filtrierbares Agens zurückführen.[42]

Die Behauptung, daß experimentelle Übertragungen von Karzinom-Filtraten mit dem Effekt neuen Krebswachstums bei zuvor gesunden Organismen gelungen seien, die Vorstellung also, daß bösartige Geschwülste beim Tier zellfrei übertragbar seien, was an eine virusinduzierte Umwandlung normaler in maligne Zellen denken ließ, war in den 20er Jahren auf heftigen Widerstand jener Forscher gestoßen, die die überlieferte Überzeugung teilten, daß allein lebende Krebszellen fähig seien, den Tumor auf andere Tiere zu übertragen (siehe Darányi 1937: 1267). Die Übertragbarkeit der transplantablen Tiertumoren sollte an die Anwesenheit der intakten Zellen in der Impfflüssigkeit gebunden sein. Dieses Verständnis entsprach der von Virchow repräsentierten Zellenlehre bzw. Zellularpathologie, derzufolge die Zelle die fundamentale physiologische  und  morphologische  Einheit  des  Organismus  und  Krankheit  die  Störung  ihrer normalen physiologischen Prozesse ist (Virchow 1885).[43]  Den Gegensatz zwischen dem infektions- und dem zelltheoretischen Ansatz der Krebsforschung charakterisiert Ludford 1930 wie folgt: „The unbiased critic will probably agree that the filtrable tumours of the fowl afford the strongest objection that can be raised to the acceptance of the mutation theory of cancer, while the ardent advocate of the theory will adduce evidence to justify making the necessary assumptions that are required to explain the filtrable tumours by its aid.” [44] Die Inkompatibilität beider Theorien wird auch von Gye und Purdy (1931) hervorgehoben: „The one, which is inseparable from the cell theory, assumes that the cause of cancer is something which is operative only at the time when the  primary cells of a  cancer take on  their  malignant qualities, the disease afterwards progressing independently; the other  assumes that cancer is due to the continuous action of some persisting cause, such for example as a living virus. It will be seen that the two theories are mutually incompatible” (1931: 501, zitiert nach van Helvoort 1994b: 138).

Zu den Forschern, die der infektiösen Theorie der malignen Geschwülste Widerstand leisteten, gehörten die norwegischen Forscher Margit und Magnus Haaland (1927). Sie stellten Nachprüfungen der Versuche Gyes an, mittels Zentrifugation gewonnene zellfreie Fleischbrühe, in der Tumorstücke gelegen hatten, für die Verimpfung von Tumoren auf Mäuse zu verwenden. Zu Vergleichszwecken wurden zudem Zellen eingeimpft. Es wurden geeignete flüssige Nährböden (Fleischbrühe mit Zusatz von tierischem Eiweiß) mit steril entnommenem Tumormaterial (Stückchen von Mäusetumoren mit einem Teil des betreffenen Organs) beschickt, teils aerob, teils anaerob (durch Auspumpen der Luft und Einführung von Wasserstoff in einige Reagenzgläser) bebrütet. Die Impfung erfolgte getrennt, sowohl mit der abpipettierten klaren überstehenden Flüssigkeit – die nach Gye infektiös sein sollte – als auch mit dem Bodensatz, der die Reste des eingeimpften Tumors enthielt. Bei insgesamt 168 Impfungen mit der klaren Flüssigkeit konnten Haaland und Haaland in keinem Falle Tumorwachstum bei Mäusen bewirken. Die Inokulation des Tumorstückchens nach 24stündiger anaerober Inkubation fiel in 7% der Fälle positiv aus, nach ebenso langer aerober Inkubation in 11%. Die Impfung des frischen Tumors hatte in 95 % ein positives Resultat. Diese Tumoren wuchsen auch schneller als die aus dem nicht bebrüteten Material gewonnenen, was die beiden Forscher darauf zurückführten, daß die Bebrütung die Zellen geschädigt hätte; sie würden sich teilweise auflösen, was mikroskopisch festgestellt werden könne. Es sei aber bestimmt damit zu rechnen, daß es sich um noch überlebende Zellen handele – auch bei den anaerob bebrüteten Röhrchen - , die den Tumor übertrügen.  Wo  diese  fehlten,  wie  in  der  klaren  überstehenden  Kulturflüssigkeit,  dort  sei  eine erfolgreiche Tumorimpfung auch nicht möglich. Daß ihnen die Tumorübertragung nur dann gelang, wenn Zellen eingeimpft wurden – die selbst nach 24stündiger anaerober Behandlung ihre Wachstumsfähigkeit beibehalten hatten - , daß also die zellfreie Flüssigkeit nicht zur Tumorübertragung genügte, waren für Haaland und Haaland hinreichende Gründe dafür, die Annahme einer zellfreien Übertragung des Mäusekarzinoms und die daran geknüpften Vorstellungen über das belebte Virus zurückzuweisen.

Die zellorientierte Krankheitsdeutung konnte auch weiterhin ungeachtet jener Übertragungsversuche, zu deren Erklärung das filtrierbare, „zellparasitische“ Virus heranzogen wurde, behauptet werden. Zum einen ließ sich anführen, daß die pathologische Anatomie keine Parasiten bei der mikroskopischen Untersuchung gefunden hatte (siehe Pentimalli 1927: 348)[45], daß keinerlei klinische Beweise für die wirksame Anwesenheit eines spezifischen Mikroorganismus und dessen Übertragbarkeit etwa von Mensch zu Mensch und damit die Impfbarkeit der durch ihn veranlaßten Krankheit vorlagen. Seit jeher wurden Ideen abgewehrt, für die Geschwulstbildung Parasiten verantwortlich zu machen: Forschern, die glaubten, sie hätten Protozoen, Nematodeneier, Milben oder etwas anderes als Erreger bestimmter Geschwülste mikroskopiert, wurde entgegengehalten, sie wären in Wirklichkeit auf Korkzellen, Leinwandfasern oder andere Partikel gestoßen (siehe Teutschlaender 1927: 230 f.). Oder es wurde das, was Forscher, die Krebs als Ansteckungskrankheit verstanden, als Verursacher gefunden zu haben glaubten, in einem zelltheoretischen Sinne uminterpretiert: Das was als Bakterien ausgegeben wurde, konnte als sekundär in die Tumoren eingedrungene Elemente aufgefaßt oder die in den Karzinomzellen gesehenen Protozoen und Blastomyzeten als Degenerationsprodukte granulärer Art im Kern und Zelleib (siehe Roncali 1914: 152), als Rückbildungsprodukte der lebenden Zellsubstanz oder als atypische Zellkernteilungen bestimmt, in Karzinomen entdeckte und auf eingedrungene Parasiten zurückgeführte „Zelleinschlüsse“ als entartete Leukozyten, als regressive Metamorphose (siehe von Leyden 1904: 308 f.) oder als eine Sekretion hyaliner (glasig erstarrter) Substanzen des Protoplasmas (siehe Honda 1903) verstanden werden.

Zum anderen war das Konzept einer infektiösen Entstehung von malignen Tumoren schon deswegen solange angreifbar, wie sich die großen Schwierigkeiten nicht bewältigen ließen, ein Krebsagens außerhalb der Geschwülste zur Wirksamkeit zu bringen. Es gelang nicht, im Verständnis des Krebses als einer Infektionskrankheit gemäß den Kochschen Postulaten ein aktives tumorerzeugendes  Agens  von  der  Tumorzelle  abzutrennen,  den  Parasiten  vom  Wirtskörper vollkommen zu isolieren und in Reinkultur hinreichend oft umzuzüchten und so Krebs von neuem zu erzeugen. Und dies erklärt zu einem wesentlichen Teil, „weshalb so lange das Dogma sich erhalten konnte, daß nur die unversehrte Krebszelle bei den Säugetierkrebsen imstande ist, wieder Tumoren zu erzeugen”, so Blumenthal et al. (1927: 231). Auch konnten Forscher immer wieder mit Befunden aufwarten, von denen sie meinten, daß sie die Wirkung von Zell- bzw. Zellkernresten in den als zellfrei behaupteten Filtraten nachgewiesen hätten (siehe Lewin 1925: 455; siehe auch ders.1928: 466 ff.). Behauptungen von Tumorforschern, daß sie im Experiment die Anwesenheit von Zellen hätten ausschließen können, ließen sich unter Verweis auf Unzulänglichkeiten der angewandten Mittel zur Filtrierung, Pulverisierung des Tumormaterials oder anderer Techniken in Frage stellen. Daß mit den wirksamen Filtraten doch Zellübertragungen eintreten  könnten  -  auch  bei  Anwendung  von  Filtrationstechniken,  die  sich  im  besonderen Maße bewährt hatten -,  ließ sich mit Verweis auf manche Versuche begründet annehmen. [46]  So berichtete Jung im Jahre 1924, daß in dem Filtrat zumindest Zelltrümmer, Kerne, an denen noch Bruchstücke von Plasma hingen, enthalten waren. Und Teutschländer etwas später (1925), daß in den Filtraten bzw. dem Tumorpulver, mit dessen Herstellung ja alle Zellverbände aufgelöst werden sollten, doch noch vereinzelt Zellen oder wenigstens Zellentrümmer und Keime vorhanden gewesen seien. Die Theorie, daß die Krebsentstehung von Zellen abhängen sollte, wurde  auch  durch  Versuche  unterstützt,  deren  Resultate  den  Schluß  nahelegten,  daß  sich  die Tumorbildung mit der Verringerung von Zellmaterial in der Impfflüssigkeit verzögert bzw. die Unsicherheit ansteigt, daß es zu einer solchen kommt. Und es wurde auch immer wieder berichtet, daß sich mit zellfreien Filtraten nur negative Ergebnisse erzielen ließen. So teilte Loeb mit, daß es ihm bei seinen Untersuchungen von Rattensarkomen nicht gelungen war, Tumorbildung nach Ausschaltung von Tumorzellen durch Filtration zu erzielen, während Kontrollversuche stets positiv ausgegangen seien. Nach allen Versuchen sei „mit großer Wahrscheinlichkeit auszuschließen, daß irgend ein außerhalb einer Zelle existenzfähiger, durch Berkefeldfilter filtrierbarer Mikroorganismus die Ursache dieser Sarkome ist ... “ (1903: 352 f.). Königsfeld und Prausnitz (1914), die mit Mäusetumoren experimentiert hatten, kamen zu dem gleichen Resultat, auch sie konnten bei Anwendung von Berkefeldfiltern niemals eine Tumorbildung beobachten.  Haaland  und  Haaland  (1927)  glaubten  ebenso,  die  Wirkungslosigkeit  zellfreien Materials bewiesen zu haben (siehe weiter oben).

Zur Stützung der Idee, daß das filtrierbare Agens solcher Geschwülste wie der Hühnertumoren aus den Geweben der tumorbehafteten Tiere selbst stammen könnte,  wurde auf die ausgeprägte Gewebsspezifität der Übertragung verwiesen. Mit der Vorstellung, daß es sich um ein selbständiges, autonomes  Agens handele, müßten, so Teutschlaender (1927: 247), die Erreger als ubiquitär unterstellen werden, was „der beste Beweis für die Schwäche der Infektionslehre“ sei. „Diese Verlegenheitshypothese scheint uns um so absurder, als wir sie überhaupt nicht nötig haben, wenn wir das spezifische Moment der Krebsentstehung nicht in einem von außen kommenden, sondern in einem im betroffenen Körper selbst gelegenen spezifischen Faktor sehen, der in jedem Organismus bereits in irgendeiner Form vorhanden ist oder aber gebildet werden kann.“

Es galt als nicht unwahrscheinlich, daß die Tumorbildung auf ein Ferment in den Filtraten oder
auf Toxine zurückgeht.
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 Als bei chemischen Untersuchungen der Viren Stanley 1935 die Isolierung eines kristallinen Proteins mit den Eigenschaften des Tabakmosaikvirus gelang, wurde die Vermutung gestärkt, daß es sich beim Virus um ein autokatalytisches Protein handele, eine
Annahme, die sich auch auf die Natur von Krebsviren bezog. Fuchs, der den Versuch unternommen  hatte,  mit  den  gleichen  Methoden,  die  Stanley  angewandt  hatte,  das  Agens  einer Krebsart zu erfassen, berichtete 1936 auf einer Mikrobiologen-Tagung in London, daß er aus zellfreiem Extrakt eines Kaninchenkarzinoms eine kristalline Substanz gewonnen habe, mit der er auch wieder bei Kaninchen histologisch gleichartige Tumoren erzeugen könne (Hinweis aus: Seiffert 1938: 28; ohne Quellenangabe). Angefügt sei, daß es schon  mehrere Jahrzehnte vorher Hinweise gegeben hatte, daß sich aus Tumoren eine solche Substanz gewinnen läßt. In einem Aufsatz von Novell (1913: 682) wird angegeben, daß aus Karzinomen von Menschen eine für die Geschwulst kennzeichnende chemische, kristallinische Substanz isoliert worden sei, die bei einem Kaninchen nach Impfung zu multipler Krebsbildung führe. Novell hatte aus Karzinomgewebe Extrakte hergestellt, aus denen er, wie er meinte,  durch Einengung auf dem Wasserbade  und  Ätherausschüttelung  die  kristallinische  Substanz  gewonnen  hätte.  Allerdings  wurde diese Angabe von anderen Forschern, so von Fränkel und Klein 1916, [48] in Zweifel gezogen.

Für einen endogenen spezifischen Faktor sprach überdies, daß sich die Krebsbildungen gewöhnlichen Reaktionen gegen Infektionserreger nicht gleichsetzen ließen. Die malignen Geschwülste  konnten  nicht,  wie  die  Veränderungen  bei  Infektionskrankheiten,  als Abwehrerscheinungen gegen äußere Reize aufgefaßt werden. Für Doerr war es bewiesen, daß eine exogene Infektion als spezifische Entstehungsursache etwa der spontan auftretenden, zellfrei übertragbaren Hühnersarkome gar nicht gebe (1938: 45 ff.). Krebsbildungen, so Teutschlaender (1927: 247, 248), imponierten als mehr oder weniger entgleiste Gewebsbildungen, die durch spezifische äußere Faktoren, seien sie nun parasitärer oder nichtparasitärer Natur (zum Beispiel gelang es, mit Teer und Pech regelmäßig Krebs zu erzeugen [49]), lediglich ausgelöst würden. Parasiten wirkten nicht direkt krebserregend, „spezifisch” im gewöhnlichen Sinne des Wortes, sondern nur indirekt und unter besonderen vom Organismus selbst abhängigen Voraus-
setzungen (ebenda, 249).

Doch konnte man gegen die Vorstellung einer endogen entstandenen chemischen Substanz als Geschwulsterreger u.a. einwenden, daß, so bei den Hühnertumoren, die Impfung mit Filtraten von Zellemulsionen kaum ein wesentlich schlechteres Impfresultat erbringt als die Übertragung des gewöhnlich zur Impfung verwendeten Zellbreis, obwohl doch, auch wenn die Filtrate nicht zellfrei sein sollten, nur ganz wenige Zellen in ihnen enthalten sein könnten (siehe Lewin 1925: 461). Dafür, daß nicht die Zelle des Tumors, vielmehr das Virus die Verimpfbarkeit des Tumors bedingt, ließ sich beispielsweise auch anführen, daß ultraviolettes Licht die Zellen des Tumors abtötet, nicht aber die Übertragbarkeit  des Tumors (siehe Rous 1913).  Ein  anderes  Argument: Weil sich das geschwulsterregende Agens beim Rousschen Hühnersarkom nicht nur im Primärtumor, sondern auch in den Metastasen fand, müßte es für möglich gehalten werden, daß sich eine körperfremde chemische Substanz im Organismus vermehrt, wofür aber kein Beispiel bekannt war.

Barnard (1925) teilte mit, daß er das Agens des Roustumors auf Agarplatten durch ein ultraviolettes Licht und mit den Wellenlängen 275 µµ mit Hilfe eines kombinierten Illuminators als rundliches oder kugliges Körperchen auf der photographischen Platte abbilden konnte. Dies würde für eine korpuskuläre Natur des Agens sprechen. Belege, daß es sich bei den Tumorerregern um Teilchen von erheblicher und gleichmäßiger Größe handelt, erschwerte es, sie sich als ein endogenes Agens vorzustellen. Nach den Ergebnissen einer Reihe von Untersuchungen konnte davon ausgegangen werden, daß die aus Tumormaterial gewonnenen Viruselemente (im infektiösen Saft des Rous-Sarkoms) untereinander gleiche Größe und einen Partikeldurchmesser von etwa 60 bis 70 mµ aufweisen (siehe Elford/Andrewes 1935 und 1936), die sich bei entsprechender Umdrehungsgeschwindigkeit auszentrifugieren ließen und in gefärbten Präparaten des ausgeschleuderten Bodensatzes als Körnchen darboten (siehe Ledingham und Gye 1935).

Zur Rechtfertigung der These, daß ein lebendiges Agens im Filtrat vorhanden sei, ließ sich auch anführen, daß der Zusatz von Chloroform deutlich die Virulenz des Virus beeinträchtigt bzw. gänzlich aufhebt, so daß es nicht mehr tumorbildend wirkt.  Oder es konnte auf Experimente verwiesen werden, denenzufolge das Agens sogar in extremer Verdünnung des Ausgangsmaterials noch nachweisbar war. Eine chemische Substanz hätte sich allmählich erschöpfen müssen.

Auch im Hinblick auf den Tumorvirus läßt sich also festhalten, daß sich Kontroversen zum Verständnis seiner Natur auf experimentellem Wege nicht beilegen ließen. Die Zweifel an der Filtrabilität verstummten nicht, teils weil einzelne Autoren bei Versuchen, eine zellfreie Übertragung solcher Tumoren wie beispielsweise des Hühnersarkoms zu negativen Ergebnissen gelangten,  teils  weil  positiven  Resultaten  mit  Verweis  auf  denkbare  Fehlerquellen  mißtraut werden konnte. Das Gleiche kann aber auch im Hinblick auf die Gegenpartei gesagt werden.